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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Es ging mir ziemlich mies, als sie starb.«
    »Aber es geht nicht nur darum, dass sie gestorben ist … sondern, dass ich etwas damit zu schaffen habe.« Erst als der Satz schon ausgesprochen war, wurde mir bewusst, was ich gesagt hatte.
    Überrascht sah mich Rachel an.
    »Was ist passiert?«, fragte sie.
    »Du kennst mich kaum … ich meine, na ja, du kannst mich ja gar nicht kennen. Es ist nur … ich glaube, dir ist nicht bewusst, wie ich aufgewachsen bin.«
    »Ich kann dir nicht folgen, Hayat.«
    »Du bist Jüdin, oder?«
    »Ja? Und?«
    »Du wirst mich nicht sonderlich mögen, wenn ich dir erzähle, was geschehen ist …«
    Sie rutschte auf ihrem Stuhl herum und streckte den Rücken durch. Sie sah weg.
    Du kennst sie kaum , dachte ich. Was willst du dir damit beweisen?
    »Vielleicht sollte ich gehen«, sagte ich.
    Sie sagte nichts.
    Ich rührte mich nicht. Ich wollte nämlich nicht gehen. Ich wollte bleiben. Ich wollte ihr alles erzählen.
    Lange saßen wir uns schweigend gegenüber, dann berührte mich Rachel an der Hand.
    »Erzähl es mir«, sagte sie.

I
    DAS VERLORENE PARADIES

1
    MINA
    L ange bevor ich Mina kennenlernte, kannte ich ihre Geschichte.
    Eine Geschichte, die Mutter oft erzählt hatte: wie ihre beste Freundin, die so begabt, so großartig war – laut meiner Mutter so etwas wie ein Genie –, immer wieder enttäuscht und in ihrer Entwicklung durch ihre kleingeistige Familie gehemmt, wie ihr starker Wille durch eine Kultur, in der für Frauen kein Platz war, gelähmt wurde. Ich hörte von den Schulstufen, die Mina übersprungen hatte, von den Klassen, in denen sie die Beste war, meist zum Verdruss ihrer Eltern, denen ihre irgendwann anstehende Hochzeit wichtiger war als ihre Zeugnisse. Ich hörte von den Jungs, die in sie verliebt waren, und wie auch sie sich im Alter von zwölf Jahren in einen verliebte, worauf ihr Vater, als dieser den Zettel des Angebeteten im Mathebuch fand, ihr mit einem Faustschlag die Nase brach. Ich hörte von ihren Nervenzusammenbrüchen, von ihren Essstörungen und natürlich von ihren Gedichten, die ihre Mutter eines Abends im offenen Wohnzimmerkamin verbrannte, als sie sich mit Mina darüber stritt, ob diese auf die Universität gehen dürfe, um Schriftstellerin zu werden.
    Und weil ich das alles wahrscheinlich so oft hörte, ohne die Frau selbst zu kennen, war Mina Ali samt ihren Geistesgaben und Seelenqualen wie der immerwährende Currygeruch in unseren Zimmern und Fluren: eine Allgegenwart in meinem Leben, von der ich kaum Notiz nahm.
    Und dann, an einem Sommernachmittag, ich war acht Jahre alt, sah ich ein Bild von ihr. Als Mutter Minas neuesten Brief aus Pakistan öffnete, fiel ein handtellergroßes Hochglanzfoto heraus. »Das ist deine Tante Mina, Kurban «, sagte Mutter, als ich es aufhob. »Schau, wie schön sie ist.«
    Schön, in der Tat.
    Das Bild zeigte eine auffallend attraktive Frau in einem Korbsessel vor grünen Blättern und orangefarbenen Blüten. Ihr tiefschwarzes Haar wurde fast ganz von einem blassrosa Schal bedeckt, und Haar und Schal rahmten ein durch und durch fesselndes Gesicht: hohe Wangenknochen – sanft durch etwas Rouge erhöht –, ovale Augen und eine kleine, kecke Nase über vollen Lippen. Ihre Gesichtszüge waren von vollkommener Harmonie und versprachen Geborgenheit und Zartheit. Aber nicht nur. Denn in ihren Augen lag eine Intensität, die dieser Verheißung mütterlichen Trosts widersprach oder sie zumindest problematischer machte: Es waren schwarze Augen, erfüllt von einem durchdringenden Licht, als wäre Minas Wahrnehmung seit Langem am Schleifstein eines namenlosen Schmerzes geschärft worden. Und obwohl sie lächelte, war ihr Lächeln eher eines, das etwas verbarg und nichts preisgab und das wie ihre Augen auf etwas Rätselhaftes, schwer Fassbares verwies, auf etwas, das man herausfinden wollte.
    Meine Mutter heftete das Foto an unseren Kühlschrank, wo es von einem regenbogenförmigen Magneten gehalten wurde, mit dem auch mein Schulspeiseplan angebracht war. (Der Speiseplan, den Mutter jeden Abend studierte, um zu sehen, ob am folgenden Tag Schweinefleisch serviert wurde, so dass ich in diesem Fall ein Essenspaket mitbekam, und den ich an jedem Schulmorgen studierte in der Hoffnung, mein Lieblingsessen, Lasagne mit Rinderhack, im Angebot vorzufinden.) So verging zwei Jahre lang kaum ein Tag, an dem ich nicht wenigstens einen beiläufigen Blick auf Minas Foto warf. Und mehr als nur ein paar Mal, wenn ich morgens mein Glas Milch

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