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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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trank oder nach der Schule an einem Zopf Fadenkäse kaute, starrte ich versonnen auf das Foto, so wie ich an manchen Sommernachmittagen auf die Oberfläche des Teichs im Worth Park starrte und zu erhaschen versuchte, was sich in den Tiefen dort verbarg.
    Es war ein außergewöhnliches Foto und hatte, wie ich einige Jahre später von Mina selbst erfuhr, eine ebenso außergewöhnliche Geschichte. Minas Eltern, die darauf bauten, dass die Schönheit ihrer Tochter einen lukrativen Bräutigam anlockte, beauftragten einen Modefotografen, um Bilder von ihr anzufertigen, und die fragliche Aufnahme war jene, die über einen Heiratsvermittler einem gewissen Hamed Suhail zugestellt wurde, dem einzigen Sohn einer wohlhabenden Familie aus Karatschi.
    Sobald Hamed das Foto sah, war er in Mina verliebt.
    Eineinhalb Wochen später erschienen die Suhails im Haus der Alis, und nach Beendigung des Treffens besiegelten die beiden Väter mit einem Handschlag die Verlobung ihrer Kinder. Mutter beharrte stets darauf, dass Mina keine Abneigung gegen Hamed gefasst und immer gesagt habe, sie hätte mit ihm glücklich werden können. Wäre nicht Irshad gewesen, Hameds Mutter.
    Nach der Hochzeit zog Mina in den Süden nach Karatschi, wo sie bei ihren Schwiegereltern lebte. Bereits in der ersten Nacht begannen die Probleme zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter. Irshad kam ins Schlafzimmer, in der Hand eine Halskette mit runden, granatroten Steinen, ein Familienerbstück, das – wie Irshad erklärte – seit fünf Generationen jeweils von der Mutter an die Tochter vererbt worden war. Da sie selbst keine Tochter hatte, wollte Irshad diese Kette, den einzigen Familienschmuck, der Frau ihres einzigen Sohnes vermachen. So hatte sie sich das immer vorgestellt.
    »Leg sie an«, drängte Irshad sie herzlich.
    Mina tat es. Und als sie beide in den Spiegel sahen, bemerkte Mina Irshads verkniffenen Blick. Sie erkannte ihren Neid.
    »Du solltest es nicht tun, Ammi «, sagte Mina und nahm die Kette ab.
    »Was sollte ich nicht tun?«
    »Ich weiß nicht … ich meine, sie ist so schön … bist du dir sicher, dass du sie mir schenken willst?«
    »Ich schenke sie dir noch nicht«, erwiderte Irshad abrupt. »Ich wollte nur sehen, wie sie dir steht.«
    Gekränkt von Irshads plötzlichem Meinungsumschwung, gab Mina ihrer Schwiegermutter die Kette zurück. Irshad nahm sie in Empfang und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
    Das war der Auftakt zu Irshads Feindseligkeiten. Als Erstes kamen schneidende Bemerkungen, zunächst nur geflüstert oder beiläufig geäußert: wie starrköpfig das »neue Mädchen« sei; wie tief sie sich beim Essen über ihren Teller beuge, als wäre sie eine Bedienstete; wie sehr sie wie eine »Maus« aussehe, so Irshads Worte. Bald darauf folgten Änderungen im häuslichen Tagesablauf, die einzig und allein darauf abzielten, Mina das Leben schwer zu machen: Hausangestellte wurden nach oben geschickt, um Minas Zimmer zu reinigen, während sie noch schlief; auf dem Familienspeiseplan wurden jene Speisen gestrichen, die Mina am liebsten mochte; dazu kamen wie vorher gemeine Bemerkungen, nun aber nicht mehr hinter vorgehaltener Hand. Mina tat alles, um ihre Schwiegermutter versöhnlich zu stimmen. Was Irshads Argwohn nur noch mehr schürte. Versuchte Mina, Irshad mit Unterwürfigkeit zu begegnen, fasste die ältere Frau dies als Bestätigung für Minas Verschlagenheit auf. Irshad streute nun Gerüchte über den »schweifenden Blick« und die »diebischen Hände« ihrer Schwiegertochter. Sie riet ihrem Sohn, Mina von den männlichen Bediensteten fernzuhalten, und wies die Angestellten an, ihre Wertsachen zu verschließen. (Weder Hamed noch sein Vater, die beide unter Irshads Fuchtel standen, wagten es, den sich zuspitzenden Konflikt zur Sprache zu bringen.) Und als das Vergnügen an den verbalen Misshandlungen schal wurde, nahm Irshad Zuflucht zu körperlichen Züchtigungen. Sie schlug Mina, weil sie ihre schmutzige Wäsche im Schlafzimmer herumliegen ließ oder vor Gästen unpassende Bemerkungen machte. Als Mina einmal erwähnte, das Essen sei nicht so scharf wie sonst, fasste Irshad diese Äußerung als Beleidigung auf, packte ihre Schwiegertochter an den Haaren, zerrte sie vom Esstisch und stieß sie hinaus in den Flur.
    Nach vierzehn Monaten in diesem immer schlimmer werdenden Albtraum wurde Mina schwanger. Um den Misshandlungen zu entgehen und die Schwangerschaft in aller Ruhe zu Ende zu bringen, kehrte sie in den Norden,

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