Himmelsvolk
Finsternis kann mich mehr vom Licht trennen, träumte sie, ich habe es mit meinem ganzen Wesen eingesogen, ich habe das Glück der anderen und ihre Seligkeit erfahren an mir, nichts wird meine Seele mehr vom ewig schönen Leben scheiden.
Neuntes Kapitel
Die Lerche
Eine Lerche verflog sich auf die Waldwiese, es war noch sehr früh, aber Onna, die Bachstelze, war schon auf und sah die Lerche fallen.
»Wie ist es?« sagte sie zu ihr, »wollen Sie hier bleiben, ich meine, wollen Sie immer hier bleiben, wollen Sie sich hier auf unserer Wiese niederlassen, oder wie ist es?«
»Guten Morgen«, sagte die Lerche.
Onna erwiderte den Gruß und nickte auf ihre wirklich entzückende Art, wie nur Bachstelzen es können. Ihre Bewegungen waren viel anmutiger als ihre Worte. Dann meinte sie, um nichts freundlicher:
»Es ist hier wenig Aussicht zu gedeihlicher Ansiedelung, man findet wohl was man braucht, aber nicht viel mehr. Im trockenen Schilf wohnt Josa, die Ringelnatter, von der Eule in der Linde schweige ich, Sonne kommt auch nicht eben viel her; also nun sagen Sie, was Sie wollen.«
»Ich will wieder fort«, sagte die Lerche. »Entschuldigen Sie, daß ich gestört habe, aber ich war sehr hoch am Himmel, und das Licht der Sonne hat meine Augen geblendet. Ich war so entzückt vom Glanz und der Kühle, daß ich nicht mehr recht wußte, wo ich mich niederließ, es war wie ein heller, seliger Taumel, wissen Sie.«
»Taumel ...?« wiederholte die Bachstelze und wippte, »und was reden Sie da nur sonst noch, die Sonne ist ja noch gar nicht aufgegangen?«
»Doch,« sagte die Lerche, »hoch oben schien sie schon.«
»Aber Liebe! Wozu diese Übertreibung? Wir sind hier unten einfache und ehrliche Leute und haben nicht viel für Fremde übrig, die aufschneiden. Schauen Sie doch hinauf in den Wipfel unserer Linde, Sie werden sich rasch davon überzeugt haben, daß die Sonne noch nicht aufgegangen ist. Schön sind Sie übrigens auch nicht gerade.«
»Nein,« sagte die Lerche, »ich bin nicht schön.«
»Nun, wenigstens darin sind Sie ehrlich, aber das mit der Sonne hat mir nicht gefallen. Ich habe einmal ein Falkenpaar belauscht, das in der Linde Rast hielt, und da hörte ich, daß die Falken höher fliegen, als die Kugel des Jägers reicht, ja, daß sie sich so hoch emporschwingen können, daß sie, die doch große Vögel sind, wie kleine Punkte am Himmel erscheinen.«
Die Lerche nickte. »O ja,« sagte sie nachdenklich, »die Falken fliegen sehr hoch.«
»Ja, nun, und – –? Wollen Sie etwa sagen, daß Sie höher fliegen können als die Falken?«
Die Lerche schwieg, aber die Bachstelze gab sich nicht zufrieden, denn man mußte nach ihrer Meinung sehen, daß man überall Recht behielt, wo es sich irgend einrichten ließ.
»Wie ist es denn mit dem Singen, meine Gute?« sagte sie, »haben Sie es jemals zu einer rechten Melodie gebracht?«
Die Lerche schüttelte den Kopf. »Ich muß immer jubeln«, sagte sie.
»Jubeln? Nun ja ... Haben Sie mal unser Rotkehlchen singen hören?«
»Doch,« antwortete die Lerche, »es hat mich sehr glücklich gemacht.«
»Nicht wahr? Sehen Sie, so was finden Sie bei uns auf der Waldwiese. Und nun wollen Sie sich also hier ansiedeln?«
»Nein, ich fliege in die Saat zurück, aber vielleicht erlauben Sie, daß ich etwas Tau nehme?«
»Gut,« sagte Onna, »nehmen Sie also.« Und sie schaute zu, wie die Lerche trank, und es bereitete ihr Freude, sich so gut und gastfreundlich gegen einen fremden Vogel zu benehmen, der weder ehrlich zu sein schien, noch schön war, noch etwas Rechtes im Singen zuwege brachte.
Als die Lerche sich anschickte, davonzufliegen, kam durch die Blumen der Elf. Sein lichter Schein begleitete ihn; wo er dahinschritt, blinkte der Tau der Gräser in der Morgenkühle auf, und die erwachenden Blumen grüßten ihn mit feinem Läuten und frischem Duft.
»Ach,« rief die Lerche entzückt und voll höchsten Erstaunens, »haben Sie hier einen Blumenelfen?«
»Das will ich meinen«, sagte die Bachstelze und trat etwas zurück, damit die Fremde den Elfen besser sehen konnte.
Aber da gewahrte auch der Elf die Lerche im Gras, und plötzlich breitete er seine Arme aus, und mit erhobenen Flügeln eilte er auf sie zu:
»O du! o du!« rief er, und sein Gesicht leuchtete vor Glück. »Ist es denn wahr, eine Lerche ist zu uns gekommen? O sei gesegnet, du Himmlische im Blauen, du liebliche Verkünderin der Morgenfreude, o du, die Sorgen und alle Traurigkeit der Nacht aus der
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