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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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geschlossenen Lidern, war es, als hätten das Windesrauschen, der Klang des Bachs und das Lied des Vogels sich zu einer einzigen Harmonie vereint, die das Glück aller Wesen wie einen frohen Dank dem himmlischen Vater emportrug.
    Als das Rotkehlchen sein Lied beendet hatte, flog es empor in die Krone der Linde, die es in ihrem goldgrünen Glänzen empfing, und lauschte nun dem Rauschen des mächtigen Baumes, wie alle anderen Geschöpfe es taten. Nun werde ich erzählen, was sie vernommen haben.
    »Heute sollt ihr erfahren,« begann die Linde ihre Geschichte, »woher der Traulenbach, an dem wir alle wohnen, seinen Namen erhalten hat. Es sind nun wohl nach der Zeitrechnung der Menschen etwa dreihundert Jahre her, da trug sie sich zu. In diesem Zeitraum sind ungezählte Menschen geboren worden und gestorben, aber wenn sie sich auch oft recht verschiedenartig gebärdeten, anders sprachen oder dachten und ihre Gewohnheiten änderten, so sind sie doch immer dieselben geblieben, und dies ist wahr für die ganze Zeit meines langen Lebens. Im tiefsten Grund bewegen ihr Gemüt doch nur zwei große Fragen, um sie dreht sich ihr irdisches Geschick, wie auch das unsere, es sind die Fragen danach, was das Herz froh macht, oder was es betrübt. Alle anderen Fragen verlieren bald an Wert, alles andere vergeht rasch auf der Erde.
    Und so sind sich durch alle Zeiten auch zwei Dinge an den Menschen immer gleich geblieben, das sind die Zeichen für die Freude und für den Schmerz, ihr Lachen und ihr Weinen. Nicht viele von euch sind alt genug geworden, und längst nicht alle werden alt genug werden, um jemals eines von den beiden zu erleben, aber glaubt mir, es gibt nichts, was tiefer erschüttert und inbrünstiger bewegt, als das Lachen oder das Weinen der Menschen. Beide müssen so unvermittelt aus den Gründen ihres Herzens brechen, wie das Licht aus den Feuerschlünden der Sonne, oder wie ein Quell aus den Tiefen eines Felsens. Niemals, solange ich Menschen gesehen habe, sind ihr Weinen oder ihr Lachen anders geworden, und so kann auch ihr Herz sich nicht verändert haben. Immer noch bricht es ihnen aus den Augen, wenn sie Schmerzen erleiden, in den gleichen klaren Tropfen wie am Anfang, sie sind nicht kleiner und nicht größer geworden, sie rinnen über ihre Wangen zur Erde nieder, wie helles Blut, eine nach der andern, unbeschreiblich geheimnisvoll, als ob der Glanz der Augen und das Licht darin nicht mehr zum Himmel emporstrebten, sondern zur dunklen geduldigen Erde heimverlangten. Wer einen Menschen weinen sieht, wird andächtig, alle guten Seiten seines Wesens regen sich und trachten danach, etwas zu tun, damit die Tränen des anderen aufhören zu rinnen.
    Aber glaubt nicht, daß das Lachen der Menschen von geringerer Macht sei. Ein heiteres Lachen, das aus tiefster Brust emporquillt, ist dem Sonnenschein über grünendem Land oder einem Springquell zu vergleichen, der aufleuchtend und wie berauscht von seiner Frische, ins strahlende Himmelsblau emporbraust, um beseligt von der reinen Höhe, die seine Kraft erreicht hat, wieder niederzubrechen. Glockenklingen, hell wie ein Meer von Blüten, und das farbige Blitzen der zerbrechenden Sonnenstrahlen läuten und funkeln darin, aber zu tiefst im Lachen der Menschen erschallt es fein und verborgen von einem heimatlichen Bewußtsein des Glücks, als wären sie in solchen Augenblicken am Herzen der Erde geborgen.
    Sagte ich euch nicht schon, weil beides sich in aller irdischen Zeit nicht verändert hat, daß auch das menschliche Herz im Grunde keinem Wandel unterstellt sein kann? So treffen alle wahren Geschichten über die Schicksale der längst dahingesunkenen Menschen auch auf die heutigen noch zu und um so eher, je schöner sie sind. Denn alles Schöne ist so eng mit dem Wahren verbunden, wie das Unwahre mit dem Häßlichen, daran kann niemand etwas ändern, denn es ist so in Gottes Rat bestimmt.
    Traule war die Tochter eines Jägers, der sein Haus nicht weit von unserer Wiese entfernt stehen hatte, dort wo jetzt das Erlendickicht und die alten Fichten wachsen. Ihr könnt nicht bis dort hinüberschauen, die ihr Blumen oder Sträucher seid, aber ihr wißt durch die Bienen und Schmetterlinge von dem Ort, oder durch die Vögel. Das Haus ist längst verfallen, und seine Mauerreste sind überwachsen, der Ort ist euch und euren Völkern zurückgegeben, ich glaube auch nicht, daß es noch Menschen im Lande gibt, die von dem Hause wissen. Die Tannen hat der Jäger um die Zeit gepflanzt,

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