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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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in welcher Traule geboren wurde; auch sie kennen die Geschichte des Mädchens, aber nicht so gut wie ich, denn wenn Traule besonders froh oder traurig war, kam sie auf einem Waldpfad, den nur sie kannte, zu mir, um auf dem Moos unter meinen Zweigen am Bach zu weilen. Wir kannten uns gut und liebten uns sehr. Einmal, in der Zeit, nachdem ihre Mutter gestorben war, kam sie zu mir, legte ihre Arme um meinen Stamm und sagte zu mir: ›Bei dir ist mir ums Herz, wie mir bei meiner Mutter war, du nimmst mich an, wie ich bin, du spendest deine Wohltaten, ohne nach meinem Wert zu fragen, und die Ruhe, die dein Wesen atmet, ist, ohne meine Bitte, immer vorhanden.‹
    Die Menschen fühlen, daß wir geduldiger als sie sind, und darum tröstet unser Wesen sie, das nicht, wie das ihre, leicht in Hoffnung oder Angst in die Irre geht. Traule war wunderschön zu schauen, wie überhaupt die Menschen das Schönste und Erhabenste sind, was die Natur hervorgebracht hat. Ihr Gang ist aufrecht, und ihre Stirn taucht in das himmlische Licht empor, das ihre tiefen Augen widerstrahlen können, als lebte der Glanz der Höhen in ihrer Brust. Ihnen ist Macht über alle Wesen der Erde gegeben, ihr Bild ist in Gestalt und Anmut dem Schöpfer alles Lebendigen ähnlich, und ihre Seele ist unsterblich wie das Licht der Welt. Nichts gibt es, was den Menschen gleichkommt! In den Zügen ihrer Angesichter spiegeln die Lust und der Gram alles Irdischen wider, wie meine Blätter es im Wasser tun, so beweglich und geheimnisvoll, ihnen ist der Hort der unvergänglichen Liebe anvertraut, und Gottes Sohn ist um ihretwillen gestorben. Wohl haben viele Menschen vergessen, wieviel sie wert sind, aber Gott vergißt es nicht.
    Kurze Zeit, nachdem Traules Mutter gestorben war, kam eines Tages zu Pferd der junge Herr vom Schloß durch den Wald geritten in einem Reiterkleid aus Samt, einer weißen Feder auf dem breitkrempigen Hut und einem Degen an der Seite. Es war ein herrlicher Anblick, ihn so auf seinem weißen Pferd durch den Frühlingswald reiten zu sehen, im Grünen, unter dem Jubel der Vögel dahin, unter dem schimmernden Himmelsblau. Traule hatte am Bach in meinem Schatten geschlafen, nachdem sie zuvor im klaren Wasser gebadet hatte, und sie erwachte vom Klirren der Zügel, die mit Silber verziert waren, und vom Schnauben des Pferdes.
    Aber nicht weniger erstaunt als sie war der Grafensohn, denn er sah Traule vor sich im Moos, das Angesicht mit dem goldenen Haar in heißem Schreck erhoben und eine Flut von Morgenlicht und Vogeltrillern um die Schläfen. Es strahlte ihm aus den blauen Augen des Mädchens entgegen, als hätten aller Frohsinn des Frühlings und alle Schwermut der Waldeinsamkeit sich darin in einem blauen Glühen vereint. Sein Entzücken über Traules Anblick war so groß, daß er die Hände emporhob, als wollte er ihr aus seinen Armen den Jubel seines Herzens darreichen.
    Beide waren eine Weile still, und man hörte das Wasser des Bachs, so leise es floß, und die Blumen neigten sich an ihren Stielen im Wind, als ahnten sie, daß ein Menschengeschick auf den Lichtwegen der entzückten Augen seinen Einzug in die warme Brust, tief in die Kammern des Herzens hielt.
    Und so ist es gewesen. Ich habe niemals etwas Lieblicheres gesehen, nie etwas Schöneres als Traules Freundschaft mit dem jungen Herrn, der vornehm und mächtig war, und dem alles Land umher einmal gehören sollte. Er kam nun täglich zu Pferd durch den Wald, bald im Morgenwind, bald im Dämmerlicht der blauen Abendstunden, mit Lachen und Rosen und so viel Zärtlichkeit, wie selbst der Sonnenschein oder die Mailuft sie nicht gewähren. Glaubt mir, ihr alle, das ist das lieblichste Wunder der Welt, wenn ein von Glück überwältigtes Menschenkind, von seiner Liebe glühend, nicht weiß, wie es seine Seligkeit bergen oder zeigen soll. In solchen Stunden sehen die Augen der Menschen den Himmel geöffnet bis an den Thron der Herrlichkeit. Wer nur eine solche Stunde in seinem Dasein durchlebt hat, den kann keine Gewalt im Himmel und auf Erden mehr von seiner zukünftigen Heimat trennen.

    Der Jüngling lag in Traules Arm und lachte oder schlief, oder sie sahen miteinander dem Spiel des Lichts auf dem dahinziehenden Wasser zu, oder der Wanderschaft der Wolken im Blau. Das Mädchen flocht Kränze aus Anemonen und legte sie bald um sein Haar, bald um das ihre; aber der Ausdruck ihres Gesichts war am geheimnisvollsten, wenn sie die Züge des Mannes, den sie liebte, betrachtete, wenn er schlief.

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