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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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worden, manche haben es bestritten und geglaubt, er sei im Grunde wie jedes lebendige Geschöpf, nur vollkommener. Aber das ist nicht wahr, es kann nicht wahr sein, in alle Ewigkeit nicht! Was ihn hoch über alle Kreaturen stellt, ist seine Vernunft.«
    »Was ist das?« fragte der Käfer.
    »Es ist sein freier Wille, groß und gut zu sein nach seinem Maß.«
    »Aber glaubst du denn wirklich, Elf, daß alle Menschen ihn haben?«
    »Ich weiß es nicht,« antwortete nach einer Weile der Elf sinnend, »so genau kenne ich sie noch nicht, aber ich glaube, daß, wenn nur einmal ein Mensch es von ganzem Herzen und in Wahrheit gewesen ist, daß das ganze Geschlecht der Menschen damit entschuldigt wäre.«
    »Ach, da sieh einer, wie du denkst!« rief der Maikäfer, »so könnte ja nach deiner Meinung ein Mensch dadurch, daß er aus freiem Willen groß und gut handelt, wie du sagst, gleich eine ganze Reihe anderer Menschen von ihren Schandtaten freisprechen.«
    »Ja,« sagte der Elf einfach, »so ist es. Du kannst ja nicht ahnen, du kleines Tier, welch eine unfaßbare Fülle von Glanz und Lebenswärme schon aus einem guten Herzen erstrahlen kann. Seine Wirkung ist nicht immer erkennbar, wie die Erscheinungen, welche unsere Augen treffen, oder wie die Gegenstände, die unsere Hände berühren, aber sie ist wahr. Sieh, Lieber, das macht die Hoheit des Menschen aus, seine Würde, und das unterscheidet ihn von allen Lebendigen der großen Schöpfung, daß er den freien Willen hat, das Gute zu tun. Das macht ihn Gott ähnlich.«
    »Ach,« sagte der Maikäfer, »nun sprichst du von Gott, ich weiß nichts von Gott.«
    »Das ist auch nicht nötig,« antwortete der Elf und lächelte, »wenn Gott nur etwas von dir weiß.«
    »Tut er das?« fragte das kleine Tier erstaunt.
    Der Elf sah ihn ernst und liebreich an: »Bist du nicht einst glücklich und wohlbestellt zum Leben erwacht?« fragte er, »fandest du nicht Tag für Tag alles, was du zu deiner Erhaltung brauchtest; schien nicht die warme Sonne in deine frohen Stunden, und heilte die kühle Nacht im Schlaf nicht auch deine Sorgen? Schau’ den Schimmer deiner schönen, starken Flügel an, das Geschick deiner Glieder und den gesunden Wohlstand deiner Sinne. Ist nicht für alles liebevoll gesorgt, dessen du bedarfst, und du fragst mich, ob Gott deiner gedacht hat?«
    Es war eine Weile still; der Käfer schaute sinnend in die Weite der hellen Welt, dann sagte er:
    »Du machst mein Herz so froh.«
    Aus den Büschen unten am Bach klang der Gesang eines Waldvogels, von den Föhren wehte im linden Windhauch ein harziger Duft herüber, es war den Bäumen wohl in der warmen Sonne. Unermüdlich summten die Bienen in den Lindenblüten.
    »Sieh nun,« sagte der Elf, »so gedenkt Gott all seiner Geschöpfe, auch der verborgensten und kleinsten, es ist keines, dem er sich nicht zuneigt, aber dadurch unterscheidet sich der Mensch von ihnen allen: er kann sein Haupt auch zu Gott emporheben.«
    »Ich bin doch wirklich ein glücklicher Kerl,« antwortete der Maikäfer, »habe ich mir nicht gleich gesagt: du mußt mit dem Elfen sprechen, davon werdet ihr beide etwas haben! Es ist auch ungemein angenehm für mich, daß ich in der Lage bin, dir Glauben schenken zu können. Ich glaube nämlich alles sofort, was mir gefällt.«
    Die Augen des Elfen verirrten sich in heimatloser Seligkeit im Himmelsblau, und mit einem Lächeln, das ihn weit mit sich fortzutragen schien, sagte er:
    »Du seltsamer Geselle. Aber du und alle, die deiner Art sind, seid ohne Sorge ...«
    Es war, als habe er niemanden angeredet, seine Worte klangen voll Hoffnung, und es lag eine Verheißung in ihnen, als gäbe es in hellen Fernen ein Reich, freier und herrlicher als selbst die Vernunft.

Vierzehntes Kapitel
Das sterbende Kind

    Zwischen hohen Ahornbäumen, nicht allzu weit von der Waldwiese entfernt, lag ein altes Bauernhaus mit niedrigem großen Dach und kleinen Fenstern. Dort schimmerte um Mitternacht ein roter Lampenschein aus einem der Fenster, und Uku, die Eule, die das winzige rote Lichtlein in der Ferne sah, machte sich auf und flog über die Felder dorthin.
    Das Licht zog sie an und erfüllte sie zugleich mit Ingrimm. Es war nun einmal ihre Meinung, daß es in der Nacht dunkel zu sein hätte, nur der Schein des Mondes oder der Sterne war ihr lieb. Daß aber in den Behausungen der Menschen bisweilen diese stillen roten Feuer aufglommen, die ihr Licht auf die Blätter der Bäume warfen oder weit in das Land hinein, wie

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