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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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letzten Zeit eine zunehmende Traurigkeit bei ihm wahrgenommen und stärker als jemals jene himmlische Ungeduld seines Wesens, die sich wie ein Licht auf alle übertragen hatte, mit denen er in Berührung gekommen war. Er mußte nun oft an seine Begegnung mit der Lerche denken, und an ihre Worte, als sie ihm gesagt hatte: »Wenn du einst heimfliegst, will ich singen.« Sie sang nun schon lange nicht mehr, und einen Sommer hindurch harrte der Elf auf seine Erlösung. Wann sollte ihm jene Liebe endlich begegnen, die größer als alle Liebe war, die er empfunden oder gegeben hatte, und die ihn zu seiner Heimkehr erlöste, nach der er sich sehnte? Wohl hatte er seine Hoffnung nicht verloren, aber sie war traurig geworden, und oft, wenn nun in kühleren Nächten die Sterne auf sein Lager schienen, hatte er leise gesungen, im Dunkeln:
    Trauer du, mein irdisch Los,
über deinen bittern Gaben,
will ich meine Seele groß,
will sie stark und glänzend haben.

    Ihm war, als brächte ihm sein Lied aufs neue die Gewißheit seiner Bestimmung, als riefe er sie singend herbei, aber doch mußte er zuweilen daran denken, daß vielleicht seine Erlösung noch in weiter Ferne lag, und daß die strahlende Erde, auf die er gebannt war, doch in all ihrer Schönheit keine Liebe kannte, so groß, wie er ihrer zu seiner Heimfahrt bedurfte.
    Dies kam ihm auch heute in den Sinn, als die Linde ihre Geschichte begann, denn sie begann feierlich und sehr ernst, aber er konnte seinen Gedanken nicht nachhängen, denn es erhob sich ein sanfter Wind, und der alte Baum fuhr fort zu erzählen:
    »Es ist länger her, als auch die ältesten Bäume ermessen können, da war einst in einer prächtigen Königsstadt des fernen Ostens ein großes Fest, zu welchem die Menschen aus allen Gegenden des Landes herbeigeströmt waren, um daran teilnehmen zu können. Durch das Gewühl der fröhlichen Menschen ging ein Knabe, der niemandem auffiel, der ihn nicht näher betrachtete, denn er war einfach bekleidet und schmal von Wuchs; was ihn vor anderen auszeichnete, war der Glanz seiner Augen, deren Blick, eigenartig und schüchtern in sich versunken, doch zugleich in weite Ferne zu schweifen schien, wie ein ruhiges Wasser in seiner eigenen Tiefe ruht und doch zugleich den Himmel spiegelt.
    Er schritt langsam dahin, durch die heiße Sonne des schönen Tags, nachdenklich und froh, nach Knabenart, und es mag gegen seinen Willen geschehen sein, daß er sich nach einer Weile vor dem Eingang des mächtigen Tempels befand, der ruhig dalag, da kein Gottesdienst abgehalten wurde. Der Knabe schritt die breite Treppe empor und öffnete mit Mühe die schweren Vorhänge, die in das dämmerige Licht der feierlichen Halle führten. Gelassen betrat er das Heiligtum, heimlich beglückt und ohne Neugier, aber mit dem zitternden Herzen seiner Erwartung.
    Es war fast leer unter den zwei erzenen Säulen der Vorhalle und kühler als draußen in der Sonne. Aus den Nischen blinkte goldener Schmuck aus Wandgemälden und gewirkten Teppichen. Der innere Raum war unermeßlich hoch und groß, zwischen den Knäufen der Säulen hing ein funkelndes Gitterwerk, sieben geflochtene Reife, wie Ketten. Die Wipfel der Säulen öffneten sich wie Lilien. Aus einer der Nischen im Hintergrund erklang eifriges Reden, der Knabe vernahm dunkle gewichtige Männerstimmen und erregte Einwürfe, die seltsam widerhallten und durch den Schall im Raum eine geheimnisvolle Wichtigkeit bekamen.
    Als er hinzutrat, erkannte er am ehernen Gestühl dicht neben dem vergoldeten Altar mit den heiligen Broten eine Gruppe von Priestern und Gelehrten, die über wichtige Fragen, welche Gott und sein Reich angingen, in heftigen Streit geraten waren. Da schritt er hinzu und lauschte, bis eine der Aussagen der Streitenden ihm ins Herz sank, und er trat in ihren Kreis und fragte nach dem Sinn der vernommenen Worte. Die Angeredeten waren sehr erstaunt, als unerwartet ein fremder Knabe in ihre Mitte trat und sich in ihre Anliegen mischte. Ein alter Mann unter ihnen, an den der Knabe mit klarer Stimme und ernstem Angesicht seine Frage gerichtet hatte, erhob zornig sein ehrwürdiges weißes Haupt und wies den Eindringling mit ausgereckter Hand aus ihrer Mitte, aber noch ehe ein mißbilligendes Wort über seine Lippen kam, begegneten seine Augen denen des Kindes, und er schwieg betroffen, denn ihm war, als ob ein Leuchten von der Stirn dieses Knaben sank, und der Glanz seiner Augen erschien ihm so liebevoll in seiner Klarheit, daß er sich

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