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Himmelsvolk

Himmelsvolk

Titel: Himmelsvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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alt das Geschlecht der Menschen ist, solange sind Herzeleid und Klage von ihnen aufgestiegen, solange haben Erniedrigung und Schmach ihre Liebe begleitet, solange sind sie den bitteren Tod gestorben, der ins ewige Dunkel führt. In der Sonne vergessen sie ihr Geschick, in derselben Sonne, die nun auch dein Gemüt und deine Sinne verführt hat. Und ergeht es den übrigen Geschöpfen im Licht anders? Ihr Seufzen steigt wie Nebel vom Erdgrund, sobald die Sonne am Horizont gesunken ist, ach, und wieviel Tränen hat auch die Sonne selbst gesehen, die sie nicht hat stillen können! Dies alles weißt du, und was du erfahren hast, wird dir nur die Wahrheit meiner Worte bestätigen, und so frage ich dich nun, willst du zu uns zurückkehren und in deine alte Freiheit?«
    Da antwortete ihr der Elf:
    »Ich kann es nicht mehr.« Und als die Königin sich erhob und sagte: »So werde ich dir helfen,« legte der Elf die Hand auf seine Brust und sagte deutlich: »Ich will es nicht mehr.« Und als hätte sein Entschluß ihm Kraft verliehen, fuhr er mit leiser Stimme, aber ruhig und gefaßt fort:
    »Was du über die Erde, die Sonne und ihre Geschöpfe gesagt hast, Königin, das ist wahr, aber du und alle aus deinem Reich, ihr kennt nur das Ungemach der Irdischen, aber ihr kennt ihr Glück nicht. Ich kann es dir mit Worten nicht sagen, dies Glück, das jetzt auch mein Teil geworden ist, und von dem ich mich nicht mehr trennen will. Wohl ist der Tod das dunkle Geschick der Irdischen, aber im Licht der Sonne, die alles blühen macht, blüht auch aus den Herzen der Sterblichen eine helle Blume der Freude. Ihr Name ist Liebe, der Grund, auf dem sie allein gedeihen kann, ist das Herz in seiner Freiheit.«
    »Das Herz?« sagte die Königin mit blassen Lippen. Es war so still umher, daß ihre Frage wie ein Traumruf in ruhiger Nacht erklang, es war, als wagte niemand zu atmen. Da fuhr der Elf mit leiser Stimme fort, die vor Ergriffenheit zitterte:
    »Ich kann das Herz nicht schildern, aber sein Reich ist unendlich, weit und klar. Seine Allmacht ist stärker als die Gedanken, seine Wärme gnädiger als das Sonnenlicht, und tausend und tausend Jahre haben seine Fülle nicht ändern noch trüben können. Alle Schwachheit des vergänglichen Geschlechts der Irdischen ist nur eine arme, zeitliche Befangenheit gegen seine helle und unzerstörbare Freiheit, und immer und immer wieder blüht aus seinem Grund die Liebe empor. Nur das Herz kann erlösen, Königin. Draußen, in der goldenen Gemeinschaft der Sonne, blüht es auf, was gilt den Gesegneten, die es in ihrer Brust bergen, noch das zeitliche Elend oder der Tod? Wie immer wieder die Sonne mächtig wird und die Erneuerungen des Frühlings erschafft, so wird in den Herzen immer wieder die Liebe aufbrechen, das macht die Fremdesten zu Brüdern, die Einsamen zu fröhlichen Gefährten und schließt die Verlassenen in eine unaussprechliche Gemeinschaft der Hoffnung ein. Das ist es, was ich erfahren habe, seit ich die Sonne und ihr Bereich kenne, aber ich weiß wohl, daß ich es nicht erklären und benennen kann. Es ist eine himmlische Ungeduld in mir voll Seligkeit, das Herz pocht und pocht, erst seit ich weinen kann, höre ich seinen Schlag. Es klingt warm, voll Angst, bald ist mir, als versänke es in Dunkelheit, dann wieder vermag ich sein Strahlen nicht zu fassen, und ich weiß, es wird blühen! Ich weiß es, wenn ich die Knospen auf den Wiesen sehe, oder den Vogelgesang höre, das Lachen der Menschen oder ihre Klage. ›Es wird alles, alles gut,‹ pocht das Herz, ›du sollst noch viel Größeres erfahren!‹«
    Der Elf schwieg, und wie beschämt von seiner eigenen Kühnheit senkte er sein Haupt, und ein schüchternes Lächeln kam in seinen Zügen auf, ein wehmütiges Lächeln der Zuversicht. Ach dies Lächeln! Könnte ich es mit meinem Geist erfassen und über eure Herzen ausschütten, wie Gott seinen Sonnenschein über die blühende Frühlingserde strömen läßt, für den Preis meines Lebens, ich täte es!
    Kaum hatte der Elf seine Worte beendet, noch ging wie eine Woge das Erstaunen aller durch den Saal, da geschah das Wunder, daß sich in seinem Haar und um seine Stirn ein sanftes Glühen erhob, das, obgleich es milde und freundlich war, doch stärker erstrahlte als alles Licht des funkelnden Saals.
    »Die Sonne!« schrie die Königin laut und sprang in hellem Entsetzen empor, »die Sonne!« Sie erhob ihre Hände und rief ein gewaltiges Zauberwort, unter dessen Klang der Saal erbebte, und das

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