Himmlische Juwelen
Aufführung der Werke italienischer Barockkomponisten zu [16] fördern, die
in Deutschland und Italien gelebt und gearbeitet hatten.
Die Räumlichkeiten mochten bescheiden sein, lagen aber günstig. Bis
zur Biblioteca Marciana mit ihrer bedeutenden Sammlung von Manuskripten und
Partituren waren es nur zehn Minuten zu Fuß.
Angesichts der Umstände, die sie in diesen Raum geführt hatten, kam
es Caterina so vor, als habe man sie für eine Nebenrolle in einem Melodram aus
dem neunzehnten Jahrhundert engagiert: Der wiederentdeckte
Schatz? Die feindlichen Vettern? Seit über einem Jahr lagen sich zwei
Cousins, Nachkommen verschiedener Linien eines gemeinsamen Urahnen, in den
Haaren wegen zweier wiederaufgetauchter alter Truhen. Beide konnten ihre
Verwandtschaft mit dem Erblasser belegen, einem Kirchenmann und Musiker, der
ohne direkte Nachkommen gestorben war. Da sich der Fall juristisch nicht klären
ließ, hatten sie schließlich, zähneknirschend, einen Schlichter eingeschaltet,
der ihnen angesichts ihrer Weigerung, den noch unbekannten Inhalt der Truhen
gleichmäßig untereinander aufzuteilen, den Vorschlag gemacht hatte, einen
unabhängigen Fachmann zuzuziehen, der die historischen Unterlagen und andere
allenfalls in den Truhen befindliche Schriftstücke nach Hinweisen durchforsten
sollte, welcher Zweig der Familie ihrem Urahn eher am Herzen gelegen habe. Für
den Fall, dass sich ein solcher Hinweis finden ließe, kamen die Cousins in
einem vom Schlichter aufgesetzten und in Anwesenheit eines Notars
unterzeichneten Vertrag überein, den gesamten Inhalt beider Truhen dem Begünstigten
zu überlassen.
Als der Schlichter, der Caterina einige Wochen zuvor zu [17] einem
Gespräch nach Venedig eingeladen hatte, ihr dies auseinandersetzte, dachte sie
zunächst, er scherze oder habe den Verstand verloren, oder vielleicht auch
beides. Dennoch bat sie freundlich um nähere Einzelheiten, um sich ein besseres
Bild von ihrer Aufgabe machen zu können. Dabei verschwieg sie, dass ihr
Wiedersehen mit Venedig, die Gerüche und die Atmosphäre sie so überwältigt
hatten, dass sie den Job um jeden Preis annehmen würde, Hauptsache, sie käme
weg aus dem verfluchten Manchester.
Dottor Moretti tischte ihr eine Mischung aus Mythen, Familiendrama,
Seifenoper und Possenspiel auf, ohne je konkret zu werden. Bei dem verstorbenen
Kirchenmann, erklärte er, handle es sich um einen Barockkomponisten, von dem
sie als Spezialistin gewiss schon gehört habe; er sei vor knapp dreihundert
Jahren verstorben, ohne ein Testament zu hinterlassen. Sein Besitz sei in alle
Winde verstreut; jüngst seien zwei Truhen gefunden und nach Venedig gebracht
worden, die vermutlich Papiere und womöglich auch Wertsachen enthielten.
Unstrittig sei, dass die Anwärter Nachkommen von Verwandten des kinderlosen
Musikers seien: Beide hätten Kopien von Tauf- und Heiratsurkunden vorgelegt,
die über zwei Jahrhunderte zurückreichten.
An diesem Punkt hatte Caterina nachgefragt, um wen es sich denn
handle, was Dottor Moretti geflissentlich überging. Das werde sie erst nach der
Anstellung erfahren, sagte er, und so weit sei man noch lange nicht. Ein
kleiner, unmissverständlicher Peitschenhieb.
Aber, fragte sie, man werde den Namen doch wohl erfahren, bevor es
an die Prüfung der Unterlagen gehe?
Das käme ganz auf die Fundstücke an, erklärte Dottor [18] Moretti.
Noch ein Hieb. Die beiden Erben, sagte er zu ihrer Überraschung, würden alle in
Frage kommenden Bewerber gerne persönlich kennenlernen. Einzeln. Caterina, die
allmählich die Geduld verlor, fragte, ob dies kein Humbug sei. Worauf der
Schlichter mit einer Miene verneinte, die ebenso zurückhaltend war wie seine Krawatte.
Ihre Aufgabe sei es, die in den Truhen vermuteten Dokumente zu
studieren; die meisten dürften in Italienisch, Deutsch und Latein verfasst
sein, manche vielleicht auch in Französisch, Niederländisch oder auch Englisch.
Alles, was auf einen Letzten Willen schließen lasse oder sich auch nur auf das
Verhältnis zu Familienmitgliedern beziehe, müsse vollständig übersetzt werden:
Papiere, in denen es um Musik oder andere Lebensbereiche gehe, hingegen nicht.
Die Cousins erwarteten regelmäßige Berichte über den Stand der Arbeit. Dottor Moretti
schien es peinlich, dies zu erwähnen. »Sie schicken diese Berichte an mich, und
ich leite sie weiter.«
Auf Caterinas leicht befremdete Frage, warum man nichts über den
Inhalt der Truhen wisse, antwortete Dottor Moretti, die Siegel
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