Himmlische Versuchung - Engelsjägerin #1 (German Edition)
war, ob ich mich in Gefahr brachte. Eines war mir eben klar geworden: Ich würde ihn nicht ein zweites Mal zurücklassen.
»Kannst du laufen?« Meine Stimme klang belegt. Fast meinte ich, ein leichtes Zittern herauszuhören, doch sicher hatte ich es mir nur eingebildet.
Er sah perplex zu mir hoch. »Ob ich laufen kann?«
»Ja.«
»Wieso?«
»Die Gasse ist zu eng für mein Auto.«
»Dein Auto?«, flüsterte er ungläubig.
»Ja.«
»Würde es dich sehr viel Überwindung kosten, mehr als einen Satz am Stück zu sagen?«
»Du fragst zu viel«, sagte ich, und bevor er etwas erwidern konnte, hatte ich ihm den stumpfen Griff meiner Waffe vor den Kopf geschlagen. Er brach zusammen, mal wieder.
Ohnmächtig sah er auch sehr gut aus.
Als der Engel auf meinem Beifahrersitz wieder zu sich kam, waren wir schon fast an meiner Wohnung angekommen. Er beobachtete mich, doch ich drehte nicht den Kopf, um ihn anzusehen. Stattdessen blickte ich stur geradeaus, obwohl die Straßen wie leer gefegt waren und uns noch kein einziges Auto bisher entgegengekommen war. Mein Herz schlug in einem ungesunden, hohen Rhythmus und das schon die ganze Zeit, seit er so nah neben mir im Auto saß. Vorhin, als er noch ohnmächtig gewesen war, hatte ich ganz kurz sein helles Haar berührt. So eine bleiche Farbe kannten wir Dämonen nicht. Trotzdem hatte es sich sehr gut angefühlt. Nicht strohig oder leblos, sondern auffallend weich und glatt. Was machte ich hier bloß?
Der Engel verlor zu viel Blut. Der Geruch war übermächtig in dem kleinen Innenraum des Fahrzeugs. Ohne dass ich es verhindern konnte, schoben sich meine Fangzähne durch die Oberkiefer und berührten die weiche Haut meiner Unterlippe.
»Was ist mit deinen Zähnen?«, fragte er prompt.
»Es ist das Blut«, antwortete ich und blickte ihn immer noch nicht an.
»Du bist also ein Blutdämon«, sagte er tonlos.
Ich nickte.
»Werde ich als nächste Mahlzeit fungieren?«
Was sollte ich ihm antworten? Ich wusste nicht, als was er fungieren sollte. Also zuckte ich mit den Schultern.
»Du weißt es nicht?«
»Du fragst zu viel, Engel«, sagte ich erneut.
»Und du entführst mich und erwartest, dass es mich nicht interessiert, wo du mich hinbringst?«
»Engel, ich …«
»Hast du Angst, meinen Namen auszusprechen?«
Was für eine Unverschämtheit! Dämonen hatten vor gar nichts Angst und erst recht nicht vor halb toten Engeln. Trotzdem fiel es mir schwer, zu ihm hinüberzusehen.
Der Blick aus seinen leuchtenden Augen ging mir durch und durch und ich schweifte ab zu seinen Lippen, die sinnlich geschwungen und zerkratzt zugleich waren. Mein Herz wurde noch schneller.
»Ich glaube, der hungrige Blick sollte mir jetzt Angst machen, oder?«, flüsterte der Engel.
Schnell drehte ich den Kopf weg. Die Hautpartie auf meinen Wangen fühlte sich an, als brannte sie lichterloh.
»Sag mir, wie du heißt«, bat der Engel erneut.
Ich schüttelte den Kopf und starrte verbissen durch die Windschutzscheibe auf die verlassene Straße.
»Ich werde sowieso sterben. Egal, ob du mich in eines eurer Hauptquartiere schleppst oder mich an der nächsten Brücke in einen Fluss wirfst. Selbst, wenn du mich einfach irgendwo aussetzen würdest, werde ich sterben. Ich habe schon zu viel Blut verloren, es ist nur eine Frage der Zeit …«
Mein Bauch krampfte sich schmerzhaft zusammen und ich unterbrach ihn, damit er aufhörte von sich zu reden, als sei er bereits tot. »Mein Name ist Nikka.«
»Nikka«, wiederholte er. »Ein schöner, kraftvoller Name.«
»Danke«, sagte ich etwas ungelenk.
»Wohin bringst du mich, Nikka?«
Die Frage erübrigte sich, denn wir kamen an dem Apartmentblock an, in dem ich eine kleine Wohnung besaß. Mit der finanziellen Rückendeckung meiner Eltern hätte ich in ganz anderen Dimensionen residieren können, doch ich lebte lieber bescheiden und dafür unabhängig von allen Ansprüchen, die eine solch elterliche Abhängigkeit mit sich brachte. Ich manövrierte den Wagen auf die betonierte Rampe der Tiefgarage und hielt eine Codekarte vor den Scanner. Ein metallenes Gitter wanderte ächzend und scheppernd in die Höhe. Tiefgaragen waren ein unschätzbarer Vorteil, wenn man in einer Welt lebte, in der es mehrmals im Jahr Säure regnete und das einige Wochen am Stück. In meiner Parklücke angekommen, schaltete ich den Motor aus. Der Engel sah ein wenig ratlos aus. »Kannst du aussteigen?«
Er nickte. Ich entriegelte die Tür und er drückte sie mühsam auf. Währenddessen
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