Himmlische Wunder
wiedermit Rosette zur Weihnachtskrippe spazierte, arbeitete Zozie an dem Zimmer. Sie brauchte keine Stunde, und als ich später hochging, hätte man es kaum wiedererkannt. Die braun gemusterten Vorhänge waren verschwunden, stattdessen hingen in den Fenstern zwei große Stoffbahnen aus Sariseide, eine rot, die andere blau. Ein drittes Tuch (violett, mit Silberfäden durchzogen) hatte sie über die muffige Tagesdecke gebreitet, und über dem Kaminsims hing eine doppelte Lichterkette mit lauter bunten Lämpchen. Auf den Sims hatte sie ihre Schuhe gestellt, ein Paar neben dem anderen, wie Ornamente über dem Feuer.
Außerdem hat sie einen Flickenteppich mitgebracht und eine Lampe, an die sie alle ihre Ohrringe gehängt hatte, wie Troddel unten am Lampenschirm, und einer ihrer Hüte hing an der Wand, wo vorher ein Bild gewesen war. Hinter der Tür hing ein chinesischer Seidenmorgenrock, und um den Pockenspiegel herum hatte sie lauter Schmetterlinge mit Glitzersteinen drapiert, die sie sonst in den Haaren trägt.
»Toll«, sagte ich. »So gefällt mir das Zimmer.«
Und da war auch ein Geruch, der mich irgendwie an Lansquenet erinnerte, süßlich und wie in der Kirche.
»Das ist Weihrauch, Nanou«, sagte sie. »Ich verbrenne immer welchen in meinem Zimmer.«
Es war tatsächlich echter Weihrauch, solcher, den man auf heißen Kohlen verbrennt. Maman und ich haben das früher auch gemacht. Jetzt nicht mehr. Es ist ein bisschen aufwändig, aber es riecht gut, und außerdem finde ich Zozies Art von Chaos besser als die ordentliche Sauberkeit bei anderen Leuten.
Dann beförderte Zozie aus den Tiefen ihres Koffers eine Flasche Grenadine ans Tageslicht, und wir feierten alle gemeinsam unten ihren Einzug, mit Schokoladenkuchen und mit Eis für Rosette, und als ich schließlich ins Bett gehen wollte, war es schon fast Mitternacht, und Rosette war in einem Sitzsack eingeschlafen, und Maman räumte das Geschirr weg. Ich schaute Zozie an, mit ihren langen Haaren und ihrem Armband mit den kleinen Glücksbringern dran und ihren Augen, die leuchteten wie kleine Lämpchen, undda hatte ich auf einmal das Gefühl, als würde ich Maman sehen, Maman in Lansquenet, damals, als sie noch Vianne Rocher war.
»Wie findest du mein Adventshaus?«
Sie meinte die neue Schaufensterdekoration, den Ersatz für die Bonbonschuhe. Es ist ein Haus, und ich dachte zuerst, es soll eine Weihnachtskrippe werden, wie die auf der Place du Tertre, mit einem Jesuskind und den Heiligen Drei Königen und der heiligen Familie und allen Freunden. Aber es ist etwas viel Besseres. Es ist ein Zauberhaus in einem Zauberwald, wie im Märchen. Und jeden Tag wird hinter einem der Türchen oder Fenster eine andere Szene sichtbar. Heute ist es der Rattenfänger. Die Geschichte spielt hauptsächlich außerhalb des Hauses, die Ratten haben sich in rosarote, weiße, grüne und blaue Zuckermäuse verwandelt, und der Fänger besteht aus einer hölzernen Wäscheklammer, mit aufgemalten roten Haaren. Als Flöte hält er ein Streichholz in der Hand, und mit dieser Flöte lockt er die ganzen Zuckermäuse in einen Fluss aus Seide –
Und im Haus steht der Bürgermeister von Hameln, der ihm sein Geld nicht geben wollte. Er blickt aus einem der Schlafzimmerfenster. Er ist auch aus einer Wäscheklammer gebastelt und trägt ein Taschentuch-Nachthemd und eine Nachtmütze aus Papier, und mit Filzstift ist sein Gesicht aufgemalt, der Mund weit offen vor Schreck.
Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie erinnert mich der Rattenfänger an Roux, mit seinen roten Haaren und den schäbigen Klamotten, und bei dem habgierigen alten Bürgermeister muss ich an Thierry denken. Für mich ist die Szene mehr als nur eine Schaufensterdekoration, genau wie die Krippe auf der Place du Tertre.
»Ich finde es ganz toll«, sagte ich.
»Das habe ich gehofft.«
Rosette in ihrem Sitzsack gab im Schlaf schniefende Geräusche von sich und tastete nach ihrer Decke, die auf den Fußboden gerutscht war. Zozie deckte sie wieder zu und strich ihr übers Haar.
Da hatte ich plötzlich eine komische Idee. Eigentlich war es mehr als eine Idee – eine Art Inspiration. Ich glaube, schuld daranwar das Adventshaus. Jedenfalls dachte ich an die Krippe und daran, wie alle gleichzeitig zum Stall kommen – die Tiere und die Könige und die Hirten und die Engel und der Stern –, sie kommen, obwohl keiner sie eingeladen hat, als würden sie durch eine Art Zauber herbeigerufen.
Fast hätte ich es Zozie erzählt. Aber
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