Himmlische Wunder
ganzen Raum ausfüllten. Und hatte sie etwa Tränen in den Augen? Ja. Ich glaube schon.
»Sagenhaft«, sagte sie schließlich. »Einfach sagenhaft.«
Ich tat ganz bescheiden. »Ach, du weißt ja –«
»Ich meine es ernst, Zozie. Du hilfst mir so viel.« Sie sah bekümmert aus, fand ich. Dazu hatte sie ja auch allen Grund. Das Symbol des Ehecatl ist sehr mächtig. Es spricht von Reisen, von Veränderungen, vom Wind –, und sie musste es spüren, um sich herum und vielleicht sogar in sich (meine Mendiants sind in vieler Hinsicht etwas ganz Spezielles), während sich Ehecatls Chemie mit ihrer eigenen vermischte, sie innerlich veränderte und mit ihr verschmolz –
»Und ich kann dir nicht mal ein anständiges Gehalt geben«, sagte sie.
»Bezahl mich doch einfach in Naturalien«, schlug ich grinsend vor. »So viele Pralinen, wie ich essen kann.«
Vianne schüttelte den Kopf. Dann runzelte sie die Stirn, als würde sie auf etwas lauschen, aber der Nebel verschluckte alle Geräusche. »Ich schulde dir sehr viel«, sagte sie dann. »Und ich habe noch nie etwas für dich getan.«
Sie schwieg, als hätte sie jetzt doch etwas gehört oder als wäre ihr etwas so Verwirrendes eingefallen, dass es ihr die Sprache verschlug. Das sind wieder die Mendiants , ihre Lieblingspralinen, Erinnerungen an glücklichere Zeiten –
»Ich habe eine Idee«, sagte sie, und ihre Miene hellte sich auf. »Du könntest doch hier wohnen. Bei uns. Wir haben ja noch Madame Poussins Zimmer. Sie sind nichts Besonderes, aber besser als dein Miniappartement. Du könntest mit uns essen, die Kinder fänden das bestimmt toll, und an Weihnachten, wenn wir ausziehen –«
Ihr Gesicht wurde traurig, aber nur ein bisschen.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich wäre euch im Weg.«
»Nein, bestimmt nicht. Wir könnten rund um die Uhr arbeiten. Du würdest uns einen großen Gefallen tun.«
»Und was ist mit Thierry?«
»Was soll mit ihm sein?«, erwiderte Vianne mit einer Spur von Trotz. »Wir tun doch, was er will, oder? Wir ziehen in die Rue de la Croix. Warum sollst du bis dahin nicht bei uns wohnen? Und wenn wir ausziehen, kannst du dich um den Laden kümmern. Dafür sorgen, dass alles gut läuft. Thierry hat das sowieso schon vorgeschlagen. Er sagt, ich brauche eine Geschäftsleiterin.«
Ich tat so, als würde ich darüber nachdenken. Verliert Thierry die Geduld? fragte ich mich. Zeigt er ihr seine ungestümere Seite? Ich muss sagen, dass ich mir das schon fast gedacht habe – und jetzt, da Roux wieder aufgetaucht ist, muss sie alle beide auf Distanz halten, jedenfalls bis sie sich entschieden hat.
Eine Anstandsdame. Genau. Das braucht sie jetzt. Und wer wäre besser dafür geeignet als ihre Freundin Zozie?
»Aber du kennst mich doch noch gar nicht so lange«, wandte ich ein. »Ich könnte doch irgendjemand sein.«
Sie lachte. »Nein, könntest du nicht.«
Da merkt man wieder, wie ahnungslos du bist , dachte ich grinsend.
»Gut«, sagte ich. »Dann machen wir’s.«
Wieder mal habe ich es geschafft. Ich bin drin.
5
D IENSTAG , 4 . D EZEMBER
Endlich! Sie zieht zu uns. Wie cool ist das denn ?, würde Jean-Loup sagen. Gestern hat sie ihre Sachen gebracht – das bisschen, was sie besitzt. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so wenig Zeug hat, außer vielleicht Maman und ich, als wir noch unterwegs waren. Zwei Koffer – der eine ist für Schuhe, der andere für alles Übrige. In zehn Minuten war alles ausgepackt, und mir kommt es vor, als hätte sie schon immer hier gewohnt.
In ihrem Zimmer stehen noch lauter olle Möbel von Madame Poussin, Krempel für alte Damen, ein schmaler Kleiderschrank, der nach Mottenkugeln stinkt, und eine Kommode mit kratzigen Wolldecken. Die Vorhänge sind braun und beige, mit einem Rosenmuster, und das Bett ist ganz durchgelegen, mit einem Keilkissen aus Rosshaar, und dann gibt es noch einen fleckigen Spiegel, in dem jeder aussieht, als hätte er die Pocken. Das Zimmer einer Großmutter, aber Zozie schafft es bestimmt in null Komma nichts, dass es total cool wird.
Ich habe ihr beim Auspacken geholfen und ihr eins der Sandelholzsäckchen aus meinem Schrank gegeben, als Mittel gegen den Muffelgeruch.
»Das ist alles gar nicht so schlimm«, sagte sie, während sie lächelnd ihre Kleider in den alten Schrank hängte. »Ich habe ein paar Sachen mitgebracht, um das Zimmer aufzupeppen.«
»Was zum Beispiel?«
»Wart’s ab. Du wirst schon sehen.«
Allerdings. Während Maman Essen machte und ich mal
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