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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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schmuddelig, aber man kann bar bezahlen, was für Leute wie Roux entscheidend ist. Es gibt keinen Schlüssel für die Eingangstür, sondern Tasten und einen Kode. Ich beobachtete, wie er die Zahlenkombination eingab – 825436  –, sein Profil vom grellen Orangegelb der Straßenlaterne hell erleuchtet. Speichern für später. Kodes sind immer nützlich.
    Wir traten ein. Sein Zimmer: dunkel, unfreundlich, der Teppich klebrig. Alles in allem eine quadratische Zelle, deren Farbe an alten Kaugummi erinnerte, ein schmales Bett und sonst nicht viel. Kein Fenster, kein Stuhl, nur ein Waschbecken, ein Heizkörper und ein billiger Kunstdruck an der Wand.
    »Also?«, fragte Roux.
    »Versuchen Sie mal die hier«, sagte ich und holte eine kleine, als Geschenk verpackte Schachtel aus meiner Manteltasche. »Ich habe sie alle selbst gemacht. Ein Geschenk des Hauses.«
    »Danke«, erwiderte er säuerlich und legte die Schachtel aufs Bett, ohne sie genauer zu würdigen.
    Wieder empfand ich einen empörten Stich.
    Eine Trüffel, dachte ich. Ist das zu viel verlangt? Die Symbole auf der Schachtel waren wirkungsvoll (ich hatte den roten Kreis der Herrin des Blutmondes verwendet, den Kreis der Verführerin, der Verschlingerin der Herzen). Wenn er nur eine einzige der Pralinen kosten würde, wäre es so viel einfacher, ihn zu überreden –
    »Wann kann ich kommen?«, fragte Roux ungeduldig.
    Ich setzte mich ans Fußende des Bettes. »Es ist kompliziert«,begann ich. »Sie haben sie überrumpelt, wissen Sie. Sie können nicht einfach so auftauchen, aus dem Nichts – zumal sie mit einem anderen zusammen ist –«
    Er lachte bitter. »Ah, ja, Le Tresset. Monsieur Großkotz.«
    »Keine Sorge. Ich kann den Scheck für Sie einlösen.«
    »Sie haben das mitgekriegt?« Er musterte mich verdutzt.
    »Ich kenne Thierry. Er gehört zu den Männern, die einem anderen Mann nicht die Hand geben, ohne sich zu überlegen, wie viele Knochen sie ihm brechen können. Und er ist eifersüchtig auf Sie.«
    »Eifersüchtig?«
    »Ja, klar.«
    Er grinste. Die Vorstellung schien ihm zu gefallen. »Weil ich alles habe, was? Geld, gutes Aussehen, ein Haus auf dem Land –«
    »Sie haben mehr als das«, sagte ich.
    »Was?«
    »Sie liebt Sie, Roux.«
    Einen Moment lang schwieg er. Er schaute mich nicht an, aber ich sah die Spannung in seinem Körper, das Aufleuchten der Farben – vom Blaugelb der Gasflamme zu Neonrot –, und ich wusste, ich hatte einen Volltreffer gelandet.
    »Hat sie Ihnen das gesagt?«, fragte er schließlich.
    »Nein, nicht direkt. Aber ich weiß, dass es stimmt.«
    Neben dem Waschbecken stand ein Pyrexglas. Er füllte es mit Wasser und leerte es in einem Zug, holte tief Luft, füllte es noch einmal. »Wenn es tatsächlich so ist«, sagte er, »weshalb heiratet sie dann Le Tresset?«
    Ich lächelte und hielt ihm die kleine Schachtel noch einmal hin. Der rote Kreis der Herrin des Blutmondes warf einen seltsamen Glanz auf sein Gesicht.
    »Wollen Sie wirklich keine Praline?«
    Er schüttelte ungeduldig den Kopf.
    »Na gut«, sagte ich. »Aber sagen Sie mir eins: Als Sie mich das erste Mal gesehen haben, nannten Sie mich Vianne. Wieso?«
    »Ich habe es Ihnen doch schon erklärt. Sie hatten von hintenunglaublich viel Ähnlichkeit mit ihr. Das heißt – Sie haben ausgesehen wie Vianne früher.«
    »Früher?«
    »Sie hat sich verändert«, sagte er. »Ihre Haare, ihre Kleider –«
    »Stimmt. Das liegt an Thierry. Er will sie kontrollieren und ist krankhaft eifersüchtig. Alles muss immer so laufen, wie er es sich vorstellt. Am Anfang war er sehr nett. Er hat mit den Kindern geholfen und hat Vianne Geschenke gemacht, teure Geschenke. Aber dann hat er angefangen, sie unter Druck zu setzen. Jetzt schreibt er ihr vor, was sie anziehen soll und wie sie sich verhalten soll, und er mischt sich sogar in die Kindererziehung ein. Dabei ist es natürlich nicht besonders günstig, dass er der Hausbesitzer ist und sie jederzeit auf die Straße setzen kann –«
    Roux’ Miene verfinsterte sich. Ah, endlich drang ich zu ihm durch! Ich sah den Zweifel in seinen Farben, die ersten Anzeichen von Wut. Das war schon viel verheißungsvoller.
    »Aber wieso hat sie mir das nicht gesagt? Warum hat sie mir nicht geschrieben?«
    »Vielleicht hatte sie Angst«, sagte ich.
    »Angst? Vor ihm?«
    »Wer weiß.«
    Jetzt konnte ich richtig sehen, wie er grübelte, mit gesenktem Kopf, die Augen vor lauter Konzentration zusammengekniffen. Aus irgendeinem Grund traute er

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