Himmlische Wunder
Kiefernholz.«
»Reden Sie so auch mit Vianne?«
Roux’ Akzent wechselt stark, je nach Stimmung. Heute klingt er fast exotisch, ein raues, gutturales Schnarren. Thierry, der nur den nasalen Pariser Singsang kennt, hat garantiert Schwierigkeiten, ihn zu verstehen.
»Was war das?«
Roux antwortete unverschämt langsam: »Ich habe gesagt: Reden Sie so auch mit Vianne?«
Ich merkte, wie sich Thierrys Miene verfinsterte. »Yanne ist die Frau, für die ich das alles mache.«
»Ah, jetzt begreife ich, was sie in Ihnen sieht.«
Thierry lachte, aber es war ein unsympathisches Lachen. »Ich werde sie heute Abend fragen, ja? Zufällig treffe ich mich nämlich mit ihr, und ich werde sie zum Essen ausführen. In ein Restaurant, in dem keine Pizzastücke serviert werden.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab und eilte die Straße hinauf, während Roux ihm eine obszöne Geste hinterherschickte. Schnell duckte ich mich. Ich kam mir bescheuert vor, aber ich wollte aufkeinen Fall, dass einer der beiden mich bemerkte. Thierry ging nur zwei Meter entfernt an mir vorbei, sein Gesicht verzerrt vor Wut, Ablehnung und einer Art hasserfüllter Befriedigung. Dadurch sah er älter aus als sonst, wie ein Mann, den ich gar nicht kannte, und einen Moment lang kam ich mir vor wie ein Kind, das dabei ertappt wird, wie es durch eine verbotene Tür späht. Dann war er verschwunden, und Roux war allein.
Ich wartete noch ein bisschen. Wenn Leute sich unbeobachtet fühlen, zeigen sie oft ganz überraschende Seiten – ich hatte das ja gerade bei Thierry gemerkt. Roux setzte sich an den Straßenrand und blieb einfach sitzen, rührte sich nicht vom Fleck, den Blick vor sich auf den Boden gerichtet. Er sah vor allem müde aus, aber bei Roux kann man das nie so genau sagen.
Ich muss in den Laden zurück , sagte ich mir. Anouk kommt bald heim, in weniger als einer Stunde, Rosette braucht etwas zu essen, wie immer am Nachmittag, und wenn Thierry tatsächlich vorbeikommen will –
Aber stattdessen trat ich hinter dem Wagen hervor.
»Roux.«
Er sprang auf, eine Sekunde lang ganz ungeschützt, und dieses strahlende Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Aber schon wurde er wieder wachsam. »Thierry ist nicht hier, falls du ihn suchst.«
»Ich weiß«, sagte ich.
Das Lächeln kehrte zurück.
»Roux –«, begann ich. Aber er breitete die Arme aus, und ich war sofort bei ihm, genau wie bei unserer letzten Begegnung, ich schmiegte meinen Kopf an seine Schulter, und sein warmer Geruch – dieser Geruch, der noch etwas ganz anderes ist als nur frisch gesägtes Holz, Lack oder Schweiß – legte sich weich wie eine Daunendecke um uns beide.
»Komm rein. Du zitterst ja.«
Ich folgte ihm, und wir gingen nach oben. Die Wohnung war nicht wiederzuerkennen. Mit weißen Laken bedeckt wie mit Schnee, drängten sich die Möbelstücke still und stumm in den Ecken, der Fußboden bestand nur noch aus wohlriechendemStaub. Befreit von Thierrys Krempel, konnte ich sehen, wie groß die Wohnung in Wirklichkeit war, ich sah die hohen Decken mit ihren Stuckverzierungen, die breiten Türen, die verzierten Balkone zur Seitenstraße hin.
Roux bemerkte meinen Blick. »Sehr hübsch für einen Käfig. Monsieur Großkotz scheut keine Kosten.«
Ich schaute ihn an. »Du kannst Thierry nicht leiden.«
»Aber du kannst ihn leiden?«
Ich überging die kleine Gehässigkeit. »Er ist nicht immer so grob. Normalerweise ist er sogar sehr nett, musst du wissen. Er steht unter Druck, oder vielleicht hast du ihn ja auch in Rage gebracht –«
»Oder er ist nett zu wichtigen Leuten, aber bei denen, die keine Rolle spielen, benimmt er sich so, wie’s ihm passt.«
Ich seufzte. »Ich hatte gehofft, dass ihr miteinander auskommt.«
»Was denkst du, warum ich noch nicht gegangen bin? Oder warum ich dem Dreckskerl nicht längst die Fresse poliert habe?«
Ich wandte den Blick ab und schwieg. Das Knistern zwischen uns wurde immer stärker. Ich spürte genau, wie dicht er neben mir stand, ich sah die Farbflecken auf seinem Overall. Darunter trug er ein T-Shirt und ein kleines Stück grünes Flussglas um den Hals.
»Was tust du überhaupt hier?«, fragte er. »Mit einem Hilfsarbeiter?«
Ach, Roux , dachte ich. Was soll ich sagen? Dass ich wegen der wunderbaren Kuhle gleich über deinem Schlüsselbein hier bin, wegen dieser Kuhle, die genau richtig ist für meine Stirn? Dass ich hier bin, weil ich nicht nur deine Lieblingspralinen kenne, sondern jeden Winkel deines Herzens? Weil du
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