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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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wird.
    Vielleicht bin ich deswegen heute Abend ausgerutscht. Ich habe wieder über Roux und das Fest nachgedacht und ob ich wirklich glaube, dass er kommt. Es ist ja schon schlimm genug, dass er Rosettes Geburtstag verpasst hat, aber wenn er an Heiligabend auch nicht da ist, dann klappt nichts so, wie wir es geplant haben, weil er nämlich wie die wichtigste Zutat bei unserem Rezept ist, und ohne ihn geht es nicht. Und wenn es nicht funktioniert, dann wird es nie wieder so wie früher, aber es muss wieder so werden, es muss einfach, vor allem jetzt –
    Zozie musste heute Abend weg, und Maman arbeitete wieder bis spät. Sie bekommt so viele Bestellungen, dass sie kaum nachkommt. Deshalb habe ich zum Abendessen einen Topf Spaghetti gekocht und habe meinen Teller mit hochgenommen in mein Zimmer, damit Maman genug Platz zum Arbeiten hat.
    Es war schon zehn, als ich ins Bett ging, aber ich konnte trotzdem nicht einschlafen, also ging ich hinunter in die Küche, um ein Glas Milch zu trinken. Zozie war noch nicht zurück, und Maman machte Schokoladentrüffel. Alles roch nach Schokolade, Mamans Kleid, ihre Haare, sogar Rosette, die auf dem Küchenfußboden mit einem Stück Teig und ein paar Ausstechformen spielte.
    Die Küche strahlte so eine Geborgenheit aus. Aber ich hätte wissen müssen, dass es nicht stimmte. Maman sah erschöpft und irgendwie angespannt aus, sie walkte die Trüffelmasse wie einen Brotteig, und als ich herunterkam, blickte sie kaum auf.
    »Beeil dich, Anouk«, sagte sie. »Ich möchte nicht, dass du zu lange aufbleibst.«
    Also wirklich, dachte ich, Rosette ist erst vier, und sie darf so spät noch auf sein!
    »Es sind Ferien«, sagte ich.
    »Ich will nicht, dass du krank wirst«, sagte Maman.
    Rosette zupfte an meiner Schlafanzughose, weil sie mir ihre Plätzchen zeigen wollte.
    »Sehr hübsch, Rosette. Sollen wir jetzt welche backen?«
    Rosette grinste und machte ein Zeichen für Hmm, lecker .
    Nur gut, dass es Rosette gibt, dachte ich. Immer gut gelaunt, immer lustig. Nicht wie die anderen Leute hier. Wenn ich groß bin, will ich mit Rosette zusammenleben. Wir könnten in einem Boot auf dem Fluss wohnen, wie Roux, und Würstchen direkt aus der Dose essen und am Flussufer Feuer machen, und vielleicht könnte ja auch Jean-Loup in der Nähe wohnen –
    Ich stellte den Backofen an und holte ein Blech. Rosettes Plätzchen waren ein bisschen angeschmuddelt, aber das merkt man nicht mehr, wenn sie erst gebacken sind. »Wir backen sie zweimal,wie Zwieback«, sagte ich. »Dann können wir sie an den Weihnachtsbaum hängen.«
    Rosette lachte und feuerte die Plätzchen durch die Glastür im Backofen an und machte ihnen Zeichen, sie sollten bald fertig werden. Darüber musste ich lachen, und eine Minute lang schien alles wunderbar zu sein, als wäre eine dunkle Wolke von uns gewichen. Aber dann fing Maman an zu reden, und die Wolke war wieder da.
    »Ich habe etwas von dir gefunden«, sagte sie, während sie immer noch die Trüffelpaste bearbeitete. Was hatte sie gefunden? Und wo? In meinem Zimmer? Oder vielleicht in meinen Taschen? Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie hinter mir her spioniert. Ich merke es immer, wenn sie meine Sachen durchwühlt hat, die Bücher liegen an einem anderen Platz, Zettel sind gewandert, Spielzeug ist plötzlich aufgeräumt. Ich habe keine Ahnung, wonach sie sucht – aber mein spezielles Versteck hat sie bis jetzt noch nicht gefunden. Es ist eine Holzkiste, ganz hinten unten in meinem Kleiderschrank, mit meinem Tagebuch, ein paar Fotos und verschiedenen anderen Sachen, die niemand sehen soll.
    »Das gehört doch dir, oder?« Sie griff in die Küchenschublade und holte Roux’ Puppe heraus, die ich in meiner Hosentasche gehabt hatte. »Hast du sie gemacht?«
    Ich nickte.
    »Warum?«
    Zuerst sagte ich gar nichts. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich glaube nicht, dass ich fähig gewesen wäre, es ihr zu erklären, selbst wenn ich es gewollt hätte. Dass ich alles wieder am richtigen Platz haben möchte. Dass ich Roux zurückholen will. Und nicht nur Roux –
    »Du hast ihn gesehen, stimmt’s?«, fragte sie.
    Ich antwortete nicht. Sie wusste es ja sowieso schon.
    »Warum hast du mir nichts davon erzählt, Anouk?«
    »Na ja – warum hast du mir nicht erzählt, dass er Rosettes Vater ist?«
    Maman erstarrte. »Wer hat dir das gesagt?«
    »Niemand.«
    »War es Zozie?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wer dann?«
    »Ich bin von selbst draufgekommen.«
    Sie legte den Löffel neben

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