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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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»Es ist nichts Schlimmes passiert, oder?«, sagte ich. Außer –
    Vielleicht ist doch etwas Schlimmes passiert , dachte ich. Wenn Roux doch den Scheck gefälscht hatte, dann war das vielleicht ein Unfall. Vielleicht ist es das, was Maman meint, wenn sie sagt: dass alles seinen Preis hat und dass auch bei der Magie jeder Kraft eine gleich große Kraft entgegenwirkt, wie uns Monsieur Gestin im Physikunterricht beigebracht hat.
    Maman drehte sich zum Herd und fragte: »Ich mache mir eine Tasse Schokolade. Möchtest du auch eine?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Sie machte sich trotzdem eine Tasse, raspelte die Schokolade in die heiße Milch, gab Muskat und Vanille und eine Kardamomkapsel dazu. Es war schon spät – gleich elf –, und Rosette lag auf dem Fußboden und schlief schon fast.
    Und einen Moment lang glaubte ich wieder, die Welt ist in Ordnung, und ich war froh, dass ich alles gesagt hatte, weil ich es gar nicht leiden kann, wenn ich etwas vor Maman verheimlichen muss, und ich dachte: Jetzt weiß sie alles und hat keine Angst mehr und kann wieder Vianne Rocher sein und dafür sorgen, dass es uns gut geht.
    Sie drehte sich zu mir, und ich wusste, dass ich mich geirrt hatte.
    »Nanou, bitte, bring Rosette ins Bett. Wir reden morgen weiter.«
    Ich schaute sie an. »Du bist nicht böse auf mich?«, sagte ich.
    Sie schüttelte den Kopf, aber ich konnte sehen, dass sie wütend war. Ihr Gesicht war kalkweiß und sehr ruhig, und ich sah ihre Farben, eine wilde Mischung aus Rottönen und verärgertem Orangegelb und Panikblitzen in Grau und Schwarz.
    »Es ist nicht Zozies Schuld«, sagte ich.
    An ihrem Gesicht konnte ich ablesen, dass sie anderer Meinung war.
    »Du verrätst es ihr aber nicht, oder?«
    »Geh bitte ins Bett, Nou.«
    Ich ging nach oben und lag noch ganz lange wach, horchte auf den Wind und den Regen und beobachtete die Wolken und die Sterne und die weißen Weihnachtslichter, und hinter der nassen Fensterscheibe verschwamm alles ineinander, so dass ich nach einer Weile gar nicht mehr sagen konnte, welche Sterne echt waren und welche falsch.

5

    F REITAG , 21 . D EZEMBER
    Es ist schon lange her, seit ich das letzte Mal hellgesehen habe. Ab und zu ein kurzer Einblick, ein Funke, wie Statik von der Hand eines Fremden – aber nichts Systematisches. Ich kann ihre Lieblingssorten sehen. Mehr nicht. Egal, welche Geheimnisse sie hüten – ich möchte sie gar nicht erfahren.
    Aber heute Abend muss ich es versuchen. Was Anouk mir erzählt hat, war zwar unvollständig, aber ich sehe endlich, was los ist. Ich habe es geschafft, einigermaßen ruhig zu bleiben, bis sie im Bett war, ich konnte die Illusion, dass ich die Situation im Griff habe, aufrechterhalten. Aber jetzt höre ich den Dezemberwind, und die Wohlwollenden lauern vor der Tür.
    Meine Tarotkarten helfen mir nicht weiter. Ich bekomme immer dieselben Bilder, dieselben Karten, nur in verschiedener Reihenfolge, egal, wie lange ich mische.
    Der Narr . Die Liebenden . Der Magus . Die Veränderung .
    Der Tod . Der Erhängte . Der Turm .
    Diesmal nehme ich Schokolade. Eine Technik, die ich seit Jahren nicht mehr angewandt habe. Aber ich muss heute Abend meine Hände beschäftigen, und Trüffel zu machen ist so einfach, dass ich es sogar mit verbundenen Augen könnte, ich muss nur tasten, mir genügt der Geruch und das Geräusch der schmelzenden Kuvertüre, um die Temperatur richtig einzuschätzen.
    Es ist Magie, muss man wissen. Meine Mutter fand es fürchterlich, sie sagte, es sei banal, nichts als Zeitverschwendung, aber es ist meine Art von Zauber, und meine eigenen Werkzeuge habenmir immer bessere Dienste geleistet als ihre. Klar, jeder Zauber hat Konsequenzen, aber ich glaube, wir haben uns deswegen schon viel zu viele Sorgen gemacht. Es war ein Fehler, dass ich versucht habe, Anouk etwas vorzumachen, und dass ich versucht habe, mich selbst zu belügen.
    Ich arbeite sehr langsam, die Augen halb geschlossen. Ich rieche das heiße Kupfer vor mir, das Wasser kocht. Ein Geruch von Tradition und Metall. Diese Töpfe sind schon so viele Jahre bei mir, ich kenne ihre Form, jede Delle, die sie im Lauf der Zeit hinnehmen mussten, und an manchen Stellen sieht man die heller glänzenden Spuren meiner Hände auf der dunklen Patina.
    Um mich herum scheint alles klarere Formen anzunehmen. Mein Kopf ist frei, der Wind weht, der Mittwintermond draußen wird in ein paar Tagen voll sein, und er reitet auf dem Wolkenmeer wie eine Boje im Sturm.
    Das Wasser siedet, aber

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