Himmlische Wunder
wiegt und seinen Gürtel drei Löcher enger schnallen kann.
»So ist das, wenn man verliebt ist«, sagte er zu Zozie. »Da verbrennt man Kalorien oder was. Mensch, toller Baum. Supertoll. Möchtest du auch so einen Baum, Alice?«
Alices Stimme kann ich nicht so gut hören. Aber immerhinredet sie, und ihr kleines, spitzes Gesicht hat heute sogar ein bisschen Farbe. Neben Nico sieht sie aus wie ein Kind, aber wie ein glückliches Kind, nicht mehr wie ein verlorenes, und sie schaut ihn immerzu an.
Ich dachte an das Adventshaus und an die beiden kleinen Figuren unter dem Weihnachtsbaum, die sich an ihren Pfeifenputzerhänden halten.
Dann ist da Madame Luzeron, die jetzt öfter kommt und mit Rosette spielt, wenn sie ihren Kaffee trinkt. Auch sie wirkt viel entspannter. Und heute trug sie ein knallrotes Twinset unter ihrem schwarzen Wintermantel, und sie kniete sogar auf dem Boden, um gemeinsam mit Rosette mit ernster Miene einen Holzhund über die Fliesen hin und her zu rollen.
Auch Jean-Louis und Paupaul gesellten sich dazu, ebenso wie Richard und Mathurin, die auf dem Weg zu ihrem Pétanque- Spiel eine Pause einlegten, und dann kam Madame Pinot vom Laden an der Ecke, die noch vor einem halben Jahr niemals auch nur einen Fuß in die Chocolaterie gesetzt hätte, und jetzt wird sie von Zozie mit Vornamen angesprochen (Hermine) und bestellt ganz selbstverständlich: Wie immer!
Die Zeit verging wie im Flug an diesem geschäftigen Nachmittag. Ich war gerührt, wie viele Kunden Geschenke für Rosette mitbrachten. Ich hatte nicht bedacht, dass die Leute sie immer mit Zozie sehen, während ich hinten in der Küche meine Pralinen mache, aber trotzdem war es verblüffend und zeigte mir wieder einmal, wie viele Freunde wir gewonnen haben, seit Zozie zu uns gekommen ist.
Rosette bekam einen Holzhund von Madame Luzeron, außerdem einen grün angemalten Eierbecher von Alice, einen Stoffhasen von Nico, ein Puzzle von Richard und Mathurin, ein Bild von einem Affen, gemalt von Jean-Louis und Paupaul. Madame Pinot brachte ein gelbes Haarband mit und kaufte Veilchenpralinen, die sie so gern mag, dass sie ganz gierig wirkt. Dann kam Laurent Pinson, wie üblich, um Zucker zu klauen und um mir mit fröhlicher Verzweiflung mitzuteilen, dass überall die Geschäfte schlecht laufenund dass er gerade eine Muslimin gesehen hat, die tief verschleiert die Rue des Trois Frères hinunterging, und als er sich wieder verabschiedete, legte er ein Päckchen auf den Tisch, in dem sich ein rosarotes Plastikarmband für Glücksbringer befand, vermutlich eine Gratisgabe von einer Teenie-Zeitschrift, aber Rosette ist total begeistert und will das Armband nicht mehr abnehmen, nicht einmal in der Badewanne.
Und dann, als wir gerade schließen wollten, erschien diese merkwürdige Frau, die gestern auch schon da war. Sie kaufte wieder eine Schachtel mit Trüffeln und ließ ein Geschenk für Rosette da. Ich wunderte mich, denn sie ist keine Stammkundin, und nicht mal Zozie weiß, wie sie heißt, aber als wir das Päckchen öffneten, staunte ich noch mehr. In dem Päckchen befand sich ein Karton mit einer Babypuppe, die zwar nicht besonders groß war, dafür aber offenbar ein Sammlerstück, mit einem weichen Körper und einem Porzellankopf, umhüllt von einer pelzbesetzten Mütze. Rosette findet die Puppe natürlich toll, aber von einer Fremden kann ich kein so teures Geschenk annehmen, also packte ich die Puppe wieder ein, um sie der Dame zurückzugeben, wenn sie – falls sie – wiederkommt.
»Mach dir doch keine Gedanken«, sagte Zozie. »Die Puppe hat wahrscheinlich ihren Kindern gehört oder so. Denk doch an Madame Luzeron und ihre Puppenhausmöbel –«
»Die hat sie uns nur geliehen«, entgegnete ich.
»Komm schon, Yanne! Warum bist du immer so misstrauisch? Du solltest den Menschen eine Chance geben –«
Rosette deutete auf die Schachtel und machte das Zeichen für Baby .
»Gut, meinetwegen. Aber nur heute Abend.«
Rosette stieß einen stummen Jubelschrei aus.
Zozie lächelte. »Siehst du? Es ist gar nicht so schwer.«
Trotzdem fühle ich mich nicht wohl. Man bekommt im Leben nichts umsonst. Es gibt kein Geschenk, für das man am Ende nicht bezahlen muss. Auch keine freundliche Geste. So viel hat mich die Erfahrung gelehrt. Deshalb bin ich heute viel vorsichtiger alsfrüher. Und deshalb habe ich auch das Windspiel über die Tür gehängt, damit es mich vor den Wohlwollenden warnt, vor diesen Boten, die an die Tür kommen, um Schulden
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