Himmlische Wunder
: Das ist es nämlich, worum es bei diesem Spiel letztlich geht –, und natürlich können wir nebenher auch noch Geld verdienen, was in der käuflichen Welt von Heute immer von Vorteil ist.
Und wenn ich wir sage –
– meine ich selbstverständlich mich.
»Aber wieso Anouk?« Ihre Stimme war hart. »Warum ziehst du meine Tochter mit hinein?«
»Ich mag sie«, sagte ich.
Spöttisch verzog sie das Gesicht. »Du magst sie? Du hast sie benutzt. Sie korrumpiert. Du hast so getan, als wärst du ihre Freundin.«
»Wenigstens war ich immer ehrlich zu ihr.«
»Ich etwa nicht? Ich bin ihre Mutter.«
»Man sucht sich seine Familie aus.« Ich lächelte. »Du solltest lieber aufpassen, dass sie sich nicht mich aussucht.«
Sie überlegte. Äußerlich wirkte sie ruhig, aber ich sah die Turbulenzen in ihren Farben, die Unruhe, die Verwirrung. Ich sah allerdings auch noch etwas anderes – ein Wissen, das mir gar nicht gefiel –
Schließlich sagte sie: »Ich könnte dich auffordern zu gehen.«
Ich grinste. »Dann versuch es doch! Du kannst ja auch die Polizei alarmieren. Oder am besten gleich das Sozialamt. Sie bieten dir garantiert ihre Unterstützung an. Ich vermute, in Rennes haben sie immer noch deine Akte – oder war es in Les Laveuses?«
Sie ließ mich nicht weiterreden. »Was willst du von mir?«
Ich teilte ihr gerade so viel mit, wie sie wissen muss. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, aber das kann sie nicht wissen. Sie ahnt auch nichts von der armen Françoise – die demnächst in anderer Gestaltwieder auftauchen wird. Aber sie weiß jetzt, dass ich der Feind bin.
Ihre Augen funkelten, kalt und hellwach. Sie lachte geringschätzig (wenn auch ein wenig hysterisch angehaucht), als ich mein Ultimatum vortrug.
»Du meinst, ich soll gehen?«, fragte sie.
»Na ja, schon«, erwiderte ich nüchtern. »Oder meinst du etwa, Montmartre ist groß genug für zwei Hexen?«
Ihr Lachen klang wie splitterndes Glas. Klagend sang draußen der Wind seine gespenstischen Harmonien. »Wenn du denkst, ich packe wieder alles zusammen und laufe davon, nur weil du hinter meinem Rücken heimlich manipuliert hast, dann muss ich dich leider enttäuschen«, sagte sie. »Du bist nicht die Erste, die das versucht, musst du wissen. Da war dieser Priester –«
»Ich weiß«, sagte ich.
»Ja, und?«
Nicht übel. Ich mag diesen Trotz, den Widerstand. Genau darauf habe ich gehofft. Identitäten bekommt man so mühelos. Ich habe mir im Laufe der Zeit genug Leben angeeignet. Aber die Gelegenheit, einer Hexe entgegenzutreten, auf ihrem Terrain, mit den Waffen ihrer Wahl, und dann ihr Leben zu übernehmen, es an mein Armband zu hängen, zu dem schwarzen Sarg und den Silberschuhen –
Wie oft bekommt man eine solche Chance geboten?
Ich gebe mir noch drei Tage. Mehr nicht. Drei Tage, um zu gewinnen oder zu verlieren. Danach heißt es: Bis später, gute Nacht, und auf geht’s zu neuen Gestaden. Ein freier Geist und all das. Gehen, wohin der Wind mich trägt. Die Welt da draußen ist riesengroß und voller Möglichkeiten. Ich werde bestimmt wieder etwas finden, was meinen Fähigkeiten entspricht.
Aber jetzt –
»Hör zu, Vianne. Ich gebe dir drei Tage. Bis nach dem Fest. Dann kannst du packen. Du darfst mitnehmen, was du willst, und ich werde nicht versuchen, dich aufzuhalten. Wenn du bleibst, übernehme ich keine Garantie für die Folgen.«
»Wieso? Was kannst du schon tun?«
»Ich kann dir alles nehmen. Stück für Stück. Dein Leben, deine Freunde, deine Kinder –«
Sie erstarrte. Klar, das ist ihr Schwachpunkt. Diese Kinder – vor allem unsere kleine Anouk, das hochbegabte Mädchen.
»Ich gehe nicht weg«, erwiderte sie.
Gut. Ich habe mir schon gedacht, dass du das sagst. Niemand gibt sein Leben freiwillig auf. Selbst Françoise, die unscheinbare Maus, wehrte sich am Schluss ein wenig, und von dir erwarte ich einiges mehr. Du hast drei Tage Zeit, dir eine Strategie zurechtzulegen. Drei Tage, um den Hurakan zu besänftigen. Drei Tage, um Vianne Rocher zu werden.
Es sei denn, ich bin zuerst da.
7
S AMSTAG , 22 . D EZEMBER
Bis nach dem Fest . Was will sie damit sagen? Wir können doch jetzt kein Fest feiern, wenn diese unheimliche Drohung über uns schwebt. Das war jedenfalls meine erste Reaktion, als Zozie ins Bett ging und ich allein in der kalten Küche zurückblieb, um mir zu überlegen, wie ich mich verteidigen soll.
Mein Impuls ist, sie einfach rauszuwerfen. Ich weiß, dass ich es könnte. Aber wenn ich mir
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