Himmlische Wunder
Ganeron gibt es öffentliche Duschen. Vermutlich geht er dorthin. Er muss mich für bescheuert halten.
Aber ich brauche ihn – jedenfalls noch ein bisschen. Nach dem morgigen Tag hat sich das erledigt. Dann kann er meinetwegen zum Teufel gehen, wenn er will.
»Warum tun Sie das alles, Zozie?« Diese Frage hat er mir schon öfter gestellt, aber sein Argwohn wächst mit jedem meiner Verführungsversuche. Manche Männer sind eben so – unerreichbar für meine Art von Zauber. Trotzdem nagt es an mir. Er schuldet mir so viel, aber ich bekomme kaum je ein Wort des Dankes zu hören.
»Das wissen Sie doch ganz genau«, antwortete ich und ließ eine Spur von Gereiztheit in meiner Stimme mitschwingen. »Ich tue es für Vianne und die Kinder. Für Rosette, die einen Vater verdient hat. Und für Vianne, die nie über Sie hinweggekommen ist. Und ich tue es auch für mich selbst, das gebe ich gerne zu. Wenn Vianne gehen muss, dann muss ich nämlich auch gehen, und ich habe die Chocolaterie inzwischen ins Herz geschlossen und sehe nicht ein, weshalb ich sie aufgeben sollte –«
Dass ihn das überzeugen würde, hatte ich schon im Voraus gewusst. Ein grundmisstrauischer Typ wie Roux ist immer skeptisch, wenn etwas nach Altruismus riecht. Was ja auch einleuchtet: Er selbst handelt immer absolut egoistisch, und er ist auch jetzt nur deswegen hier, weil er sich davon einen Profit erhofft. Vielleicht spekuliert er auf einen Anteil an Viannes einträglichem Geschäft, denn er weiß ja jetzt, dass Rosette sein Kind ist.
Es war drei Uhr, als ich in die Chocolaterie zurückkam, und es wurde schon langsam dunkel. Vianne bediente die Kunden und warf mir einen schnellen Blick zu, als ich eintrat, begrüßte mich aber ganz freundlich.
Ich weiß, was sie denkt. Die Leute mögen Zozie. Wenn sie sich jetzt mir gegenüber feindselig verhält, vor allen anderen, schadet sie nur sich selbst. Sie fragt sich schon, ob meine Drohungen von gestern Abend dazu dienen sollten, sie zu einem übereilten Angriff zu provozieren, bei dem sie ihre Farben zu früh zeigen und dadurch ihren Heimvorteil verlieren würde.
Die Schlacht wird morgen geschlagen, denkt sie. Canapés und frivole Desserts, süß genug, um einen Heiligen in Versuchung zu führen. Das werden die Waffen ihrer Wahl sein. Wie naiv von ihr zu denken, dass ich mich auch auf dieses Niveau begeben werde. Häusliche Magie ist dermaßen öde – Sie können jedes Kind fragen, und es wird Ihnen sagen, dass es in dem Buch, das es gerade liest, die Bösen interessanter findet als die Helden: Die bösen Hexen und die hungrigen Wölfe sind wesentlich faszinierender als die süßlichen Prinzen und Prinzessinnen.
Anouk bildet da keine Ausnahme, wette ich. Aber wir müssen abwarten. Also gut, Vianne – geh zurück an den Herd, kümmere dich um deine Töpfe. Sieh, was häuslicher Zauber bewirken kann, während ich an meinem eigenen Rezept tüftle. Angeblich geht die Liebe ja durch den Magen.
Ich bevorzuge eine direktere Methode.
1
M ONTAG , 24 . D EZEMBER
Heiligabend, 11 Uhr 30
Endlich schneit es. Schon den ganzen Tag. Dicke fette Märchenflocken schweben kreiselnd aus dem Winterhimmel. Der Schnee verändert alles , sagt Zozie, und schon beginnt sein Zauber zu wirken, er verändert die Läden und die Häuser, die Parkuhren werden zu kuschelig weißen Wachposten, während der Schnee fällt und fällt, fast grau scheint er vor dem leuchtenden Himmel, und nach und nach verschwindet ganz Paris, der Ruß, die weggeworfenen Flaschen, die Chipstüten, der Hundedreck und die Bonbonpapiere – alles wird vom Schnee in etwas anderes verwandelt.
Das stimmt natürlich nicht. Aber es sieht so aus. Es sieht so aus, als könnte sich heute Abend wirklich alles ändern, als könnte alles wieder in Ordnung kommen – und nicht nur mit Zuckerguss überdeckt werden wie bei einem billigen Kuchen.
Die letzte Tür des Adventshauses ist jetzt offen. Dahinter befindet sich eine Weihnachtskrippe: Mutter, Vater und das Baby in der Krippe – na ja, eigentlich kein Baby mehr, es sitzt da und strahlt über das ganze Gesicht, und neben dem Baby kauert ein gelber Affe. Rosette ist begeistert – ich auch, aber irgendwie habe ich doch ein bisschen Mitleid mit meiner Puppe, die bei den anderen im Festzimmer ist, während die drei für sich feiern.
Das ist dumm, ich weiß. Ich sollte nicht traurig sein. Man sucht sich seine Familie selbst aus , sagt Maman, und es ist nicht wichtig, dass Roux nicht mein richtiger
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