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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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gehört, dass Laurent mindestens einen Monat lang putzen und renovieren muss, ehe er sein Café wieder aufmachen darf; das heißt, er verpasst das Weihnachtsgeschäft.
    Dann hat er die Pralinen also doch gegessen. Armer Laurent. Der Hurakan wirkt auf mysteriöse Weise. Und manche Menschen ziehen diese Dinge einfach auf sich, so wie der Blitzableiter den Blitz.
    Umso besser für uns, sage ich. Wir haben zwar keine Schanklizenz, aber dafür gibt es bei uns Trinkschokolade, Kuchen, Kekse, Makronen – und natürlich den Sirenenruf der zartbitteren Trüffel, der Mokkalikör-Pralinen, der in Schokolade getunkten Erdbeeren, der Walnusspralinen, des Aprikosenkonfekts.
    Bis jetzt bleiben die hiesigen Ladenbesitzer noch weg, weil sie den Veränderungen nicht ganz trauen. Sie sind es gewohnt, die Chocolaterie als Touristenfalle zu betrachten, und eine Touristenfalle würden die Einheimischen niemals betreten. Das heißt, ich werde meine gesamte Überredungskunst aufwenden müssen, um sie durch unsere Tür zu locken.
    Da hilft es natürlich, dass Laurent schon hier gesichtet wurde. Laurent, der jede Art von Veränderung hasst und in einem Paris lebt, das nur in seiner Vorstellungswelt existiert: In seinem Paris sind nur Leute zugelassen, die hier geboren wurden. Wie alle Alkoholikerliebt er Süßigkeiten – und außerdem, wo soll er hingehen, nachdem sein Café geschlossen wurde? Wo findet er Zuhörer für sein endloses Lamento?
    Gestern kam er um die Mittagszeit; mürrisch, aber neugierig. Er hatte den Laden noch nicht gesehen, seit wir ihn renoviert haben, und mit säuerlicher Miene registrierte er die Verbesserungen. Glücklicherweise hatten wir gerade Kundschaft: Richard und Mathurin, die auf dem Weg zu ihrem üblichen Pétanque -Spiel bei uns vorbeischauten. Sie wurden ganz verlegen, als sie Laurent sahen – und dazu hatten sie auch allen Grund, weil sie ja seit Ewigkeiten Stammgäste im Le P’tit Pinson waren.
    Laurent musterte sie vorwurfsvoll. »Ich glaube, hier geht’s jemandem gut«, sagte er. »Was soll das sein – ein Café oder was?«
    Ich lächelte. »Gefällt es Ihnen?«
    Laurent machte sein Lieblingsgeräusch. »Grrmpf! Jeder denkt, er hat ein Café. Jeder denkt, er kann das Gleiche machen wie ich.«
    »Auf die Idee wäre ich nie gekommen«, entgegnete ich bescheiden. »Es ist gar nicht so leicht, heutzutage eine authentische Atmosphäre zu schaffen.«
    Laurent schnaubte. »Kommen Sie mir bloß nicht damit! Die Straße runter ist das Café des Artistes  – der Besitzer ist ein Türke, man glaubt es nicht – und daneben ein italienisches Café und dann dieser englische Tea-Shop und jede Menge Costas und Starbucks – diese bekloppten Amis denken, sie hätten den Kaffee erfunden –« Er funkelte mich böse an, als hätte ich womöglich amerikanische Vorfahren. »Ich meine – wie wär’s mit ein bisschen Loyalität?«, dröhnte er. »Wie wär’s mit unserem guten, altmodischen französischen Patriotismus?«
    Mathurin ist schwerhörig und hatte ihn deswegen vielleicht wirklich nicht verstanden, aber dass Richard sich verstellte, da war ich mir ziemlich sicher.
    »War nett hier, Yanne. Wir müssen los.«
    Sie ließen das Geld auf dem Tisch liegen und flohen, ohne sich noch einmal umzudrehen. Laurents Gesicht wurde noch röter, und seine Augen traten aus den Höhlen, was ziemlich übel aussah.
    »Diese blöden Schwuchteln!«, legte er los. »Sie waren dauernd da, haben Bier gesoffen und Karten gespielt – und kaum geht irgendwas schief –«
    Ich schenkte ihm mein einfühlsamstes Lächeln. »Ich weiß, Laurent. Aber Pralinenläden sind etwas ganz Herkömmliches, wissen Sie. Ich glaube, historisch betrachtet, sind sie sogar älter als Cafés, das heißt, sie sind absolut traditionell und gehören zu Paris –« Ich führte ihn zu dem Tisch, den die anderen gerade verlassen hatten. Laurent kochte immer noch vor Wut. »Nehmen Sie doch Platz und trinken Sie etwas«, versuchte ich ihn zu beruhigen. »Selbstverständlich auf Kosten des Hauses.«
    Tja, und das war erst der Anfang. Laurent Pinson brauchte nur ein kostenloses Getränk und eine Praline – und jetzt ist er auf unserer Seite. Als Kunde bringt er nichts, so viel ist sicher, er ist ein Parasit, stopft sich die Taschen mit Zuckerstückchen voll, sitzt stundenlang herum und trinkt nur eine kleine Tasse – aber er ist die Schwachstelle hier im Viertel, und wenn Laurent irgendwo hingeht, folgen die anderen früher oder später.
    Madame Pinot

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