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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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der mit seiner noch fetteren Maman allein zusammenlebt; der immer breiter wird, während sie ängstlich und aufmunternd zuschaut, wie er isst.
    Du bist nicht fett, Nico. Nur grobknochig. Komm schon, Nico. So ist’s gut, mein Junge .
    »Vielleicht sollte ich aufhören«, sagte er schließlich. »Mein Arzt sagt, ich muss mich ein bisschen einschränken.«
    Ich zog eine Augenbraue hoch. »Was weiß der denn?«
    Nico zuckte die Achseln, eine Bewegung, die wellenförmig seine Arme hinunterwabbelte.
    »Du fühlst dich gut, oder?«, fragte ich.
    Dieses dämliche Lächeln. »Ich glaub schon. Die Sache ist nur –«
    »Was?«
    »Na ja – die Mädchen.« Er wurde rot. »Ich meine, wie finden die das? Sie sehen ja nur so einen großen, dicken, fetten Kerl. Ich habe gedacht, wenn ich ein bisschen abnehme – wenn ich ein bisschen besser in Form bin –, dann würde vielleicht – wer weiß –«
    »Du bist nicht fett, Nico. Du musst dich nicht verändern. Du wirst schon jemanden finden. Wart’s nur ab.«
    Wieder seufzte er.
    »Also dann. Was darf’s sein?«
    »Ich nehme eine Schachtel Makronen.«
    Ich war gerade dabei, die Schachtel einzupacken, als Alice den Laden betrat. Ich bin mir nicht sicher, warum er unbedingt eine Schleife braucht – wir wissen schließlich beide, dass die Schachtel schon lange bevor er heimkommt, geöffnet werden wird –, aber aus irgendeinem Grund wollte er eine gelbe Schleife, die doch gar nicht zu seinen dicken Händen passt.
    »Hallo, Alice«, sagte ich. »Nimm Platz. Ich bin gleich bei dir – eine Minute.«
    In Wirklichkeit waren es natürlich fünf. Alice braucht Zeit. Sie starrt Nico verängstigt an. Neben ihr wirkt er wie ein Koloss – ein hungriger Koloss –, aber plötzlich ist er ganz stumm. Er baut sich vor ihr auf – hundertfünfzig Kilo –, und Röte kriecht über sein breites Gesicht.
    »Darf ich vorstellen – Nico, das ist Alice.«
    Sie flüstert ein Hallo.
    Es ist kinderleicht. Man muss nur mit dem Fingernagel ein Zeichen in die Pralinenschachtel ritzen. Vielleicht ist es ja Zufall, aberandererseits kann es auch der Anfang von irgendetwas sein, eine Biegung in der Straße, der Weg in ein anderes Leben –
    Jede Veränderun g –
    Wieder flüstert sie etwas. Schaut auf ihre Stiefel hinunter – und sieht die Schachtel mit Makronen.
    »Ich liebe diese Dinger«, murmelt Nico. »Wollen wir zusammen eine essen?«
    Alice will eigentlich den Kopf schütteln. Aber er sieht so lieb aus, denkt sie. Er hat etwas, trotz seiner Körpermasse, etwas beruhigend Kindliches, irgendwie Verletzliches. Und dann seine Augen – irgendetwas an ihm gibt ihr das Gefühl, dass er sie vielleicht versteht.
    »Nur eine«, sagt er.
    Und das in den Deckel der Pralinenschachtel geritzte Symbol beginnt matt zu leuchten – es ist ein Hasenmond, für Liebe und Fruchtbarkeit –, und Alice kauft nicht wie sonst nur einfache Fudge-Carrés , sondern akzeptiert schüchtern eine Tasse Mokka mit aufgeschäumter Milch und dazu eine Makrone, und die beiden verlassen gleichzeitig den Laden (wenn auch noch nicht gemeinsam), sie mit ihrem kleinen Päckchen, er mit seiner großen Schachtel, und so gehen sie hinaus in den Novemberregen.
    Und ich sehe, wie Nico seinen riesengroßen roten Regenschirm aufklappt, auf dem Merde, il pleut! steht, und ihn über die zarte kleine Alice hält. Ihr Lachen klingt hell und klar, wie eine Erinnerung, nicht wie etwas, was man tatsächlich hört. Und ich blicke ihnen nach, während sie über das Kopfsteinpflaster gehen – Alice patscht in ihren großen Stiefeln durch die Pfützen, Nico hält mit feierlicher Miene den absurden Schirm über sie beide, und sie sind wie ein Bär aus einem Comic und ein hässliches junges Entlein aus einem Märchen, unterwegs zu großen Abenteuern.

4

    D ONNERSTAG , 22 . N OVEMBER
    Drei Anrufe von Thierry, die ich alle verpasst habe. Und ein Foto vom Museum für Naturgeschichte, mit einer SMS : Höhlenfrau! Stell dein Telefon an! Ich musste lachen, aber so gefiel es mir nicht. Thierrys Technikbegeisterung ist mir eher fremd, und nachdem ich vergeblich versucht hatte, ihm eine Antwort zu schreiben, verstaute ich das Telefon in der Küchenschublade.
    Später rief er an. Offenbar schafft er es nicht, am Wochenende zu kommen, aber er verspricht, dass es nächste Woche bestimmt klappt. In gewisser Weise bin ich erleichtert. So habe ich mehr Zeit, alles zu organisieren, Ware zu bestellen, mich an meinen neuen Laden zu gewöhnen, an die

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