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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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betrachtete Roux fasziniert, und Anouks Gesicht leuchtete.
    Und Roux –
    Er registrierte alles – den Mann, das Kind, den irritierten Gesichtsausdruck, den Ring an ihrem Finger –, und ich sah, wie seine Farben verblassten und wieder in das Gelbblau der niedrig gestellten Gasflamme übergingen.
    »Entschuldige«, murmelte er. »Ich bin nur zufällig vorbeigekommen. Du weißt schon. Mein Boot –«
    Er hat keine Übung im Lügen, dachte ich. Er wollte beiläufig klingen, wirkte aber total verkrampft, und tief in den Hosentaschen ballte er die Fäuste.
    Yanne schaute ihn nur an. Ihr Gesicht zeigte nichts, keine Regung, kein Lächeln, es war eine Maske, hinter der ich die Turbulenz ihrer Farben nur ahnen konnte.
    Anouk rettete die Situation. »Roux!«, rief sie laut.
    Das brach den Bann des Schweigens. Yanne machte einen Schritt nach vorn, und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht – teils ängstlich, teils gespielt. Aber da war noch etwas anderes, das ich nicht deuten konnte.
    »Thierry, das ist ein alter Freund von mir.« Sie wurde rot, was ihr sehr gut stand, und der helle Klang ihrer Stimme hätte durchaus von der Wiedersehensfreude kommen können (ihre Farben sprachen allerdings eine andere Sprache). Ihre Augen flackerten unruhig. »Roux, aus Marseille – Thierry, mein – äh –«
    Das unausgesprochene Wort hing in der Luft, bedrohlich und von ungeheurer Sprengkraft.
    »Schön, Sie kennenzulernen, Roux.«
    Noch so ein Lügner. Thierry empfindet eine spontane Antipathie gegen diesen Mann. Gegen diesen Eindringling. Eine irrationale, instinktive Reaktion. Er versucht seine Aversion zu kompensieren, indem er sich übertrieben jovial gibt, ähnlich wie bei Laurent Pinson. Seine Stimme dröhnt, als wäre er der Nikolaus, sein Händedruck zerquetscht die Knochen, gleich wird er den Fremden mon pote nennen.
    »Sie sind also ein Freund von Yanne! Aber Sie arbeiten nicht in derselben Branche, oder?«
    Roux schüttelt den Kopf.
    »Nein, natürlich nicht.« Thierry grinst. Er lässt die Jugend des Mannes auf sich wirken und wägt sie ab gegen alles, was er selbst zu bieten hat. Der kurze Augenblick der Eifersucht ist schnell überwunden, das sehe ich in seinen Farben: Das blaugraue Element des Neides geht über in das Kupferrot der Selbstzufriedenheit.
    »Kommen Sie, trinken Sie etwas mit uns, mon pote !«
    Da! Hab ich’s nicht gesagt?
    »Wie wär’s mit ’nem Bier? Gleich um die Ecke ist eine kleine Kneipe.«
    Roux schüttelt den Kopf. »Nein. Nur Schokolade.«
    Thierry zuckt die Achseln, gut gelaunt, aber verächtlich. Schenkt Schokolade ein – ganz der charmante Gastgeber –, wendet dabei aber nie den Blick von dem Besucher.
    »In welcher Branche arbeiten Sie dann?«
    »In gar keiner.«
    »Aber Sie arbeiten doch, oder?«
    »Ja, ich arbeite.«
    »Und was, wenn ich fragen darf?« Thierry grinst.
    »Ich arbeite eben.«
    Das amüsiert Thierry ohne Ende. »Und Sie leben auf einem Boot, sagen Sie?«
    Roux nickt, und er lächelt Anouk zu – sie ist die Einzige, die sich wirklich freut, ihn zu sehen. Rosette glotzt ihn immer noch fasziniert an.
    Und jetzt sehe ich endlich, was mir vorher entgangen ist. Rosettes Gesichtszüge sind zwar noch nicht richtig ausgeprägt, aber sie hat die gleichen Farben wie ihr Vater – seine roten Haare, seine graugrünen Augen. Und auch sein schwieriges Temperament.
    Sonst scheint das niemand zu bemerken. Am wenigsten der Betroffene selbst. Ich würde die Vermutung wagen, dass er, weil Rosette körperlich und geistig zurückgeblieben ist, sie für viel jünger hält, als sie in Wirklichkeit ist.
    »Sind Sie länger in Paris?«, erkundigt sich Thierry. »Manche Leute würden nämlich sagen, wie haben schon genug Bootsleute hier.« Wieder lacht er. Ein bisschen zu laut.
    Roux mustert ihn mit ausdrucksloser Miene.
    »Aber wenn Sie einen Job suchen – ich brauche Hilfe bei der Renovierung meiner Wohnung. Rue de la Croix, nicht weit von hier.« Mit einer Kopfbewegung deutet er die Richtung an. »Schöne große Wohnung, aber sie muss grundsaniert werden – Wände, Fußböden, alles –, und ich habe vor, das Ganze in den nächsten drei Wochen zu bewerkstelligen, damit Yanne und die Kinder nicht wieder hier Weihnachten feiern müssen.«
    Er legt schützend den Arm um Yanne, die ihn unwirsch abschüttelt, ohne ein Wort zu sagen.
    »Sie haben ja sicher schon mitbekommen, dass wir demnächst heiraten.«
    »Herzlichen Glückwunsch.«
    »Sind Sie verheiratet?«
    Roux schüttelt

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