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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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der zu kompliziert war, um ihn zu ändern.
    »Roux«, antwortete er.
    Ich dachte an die mit R . unterschriebene Postkarte. Name oder Spitzname? Vermutlich Letzteres. Es geht nach Norden. Ich komme vorbei, wenn’s klappt .
    Und auf einmal wusste ich, weshalb er mir bekannt vorkam. Ich hatte ihn an Vianne Rochers Seite gesehen, auf dem Zeitungsfoto von Lansquenet-sous-Tannes.
    »Roux?«, wiederholte ich. »Aus Lansquenet?«
    Er nickte.
    »Annie redet oft von ihnen.«
    Bei dieser Mitteilung leuchteten seine Farben auf wie ein Weihnachtsbaum,und ich begann zu begreifen, was Vianne an ihm fand. Thierry leuchtet nie – höchstens seine Zigarre. Andererseits hat Thierry Geld, und Geld gleicht vieles aus.
    »Machen Sie sich’s doch einfach bequem, und ich koche Ihnen eine Tasse Schokolade.«
    Er grinste. »Sehr freundlich.«
    Ich machte die Schokolade sehr stark, mit braunem Zucker und Rum. Er trank die Tasse leer, dann wurde er unruhig, ging von einem Raum in den anderen, inspizierte Töpfe, Gläser, Schüsseln und Löffel: Yannes Pralinenwerkzeug.
    »Sie sehen ihr sehr ähnlich«, sagte er schließlich.
    »Tatsächlich?«
    In Wirklichkeit habe ich überhaupt keine Ähnlichkeit mit Yanne, aber ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass Männer selten wahrnehmen, wer real vor ihnen steht. Ein Hauch Parfüm, lange, offene Haare, ein knallroter Rock und hochhackige Schuhe, Zaubertricks, so simpel, dass jedes Kind sie durchschaut, aber ein Mann lässt sich dadurch immer täuschen.
    »Wann haben Sie Yanne das letzte Mal gesehen?«
    Er zuckte die Achseln. »Schon viel zu lange her.«
    »Ich weiß, wie es ist. Hier. Nehmen Sie sich eine Praline.«
    Ich legte eine Trüffel auf die Untertasse, in Kakaopulver gewälzt, zubereitet nach meinem eigenen Spezialrezept und markiert mit dem Kaktuszeichen des Xochipilli. Er ist der Prinz der Blumen und der Gott des Rauschs, und sein Symbol hilft, die Zunge zu lösen.
    Roux aß die Praline nicht, sondern rollte sie nur auf der Untertasse hin und her. Irgendwoher kannte ich diese Geste, aber ich konnte sie nicht richtig einordnen. Ich dachte eigentlich, er würde gleich etwas sagen – normalerweise reden die Leute mit mir. Aber er wollte offenbar lieber schweigen, während er mit der Trüffel spielte und auf die dunkle Straße hinausschaute.
    »Wollen Sie länger in Paris bleiben?«, fragte ich ihn.
    Er zuckte die Achseln. »Kommt drauf an.«
    Ich musterte ihn fragend, doch er schien die unausgesprochene Frage nicht hören zu wollen. »Worauf?«, erkundigte ich mich dann.
    Wieder zuckte er die Achseln. »Mir werden Städte schnell langweilig.«
    Ich goss ihm noch eine halbe Tasse ein. Seine Zurückhaltung – die man auch als unhöfliche Sturheit bezeichnen könnte – ärgerte mich allmählich. Er war schon fast eine halbe Stunde hier in der Chocolaterie . Hatte ich etwa verlernt, wie es geht? Eigentlich müsste ich inzwischen alles über ihn erfahren haben, was es zu erfahren gab. Und doch, da saß er – ein Mann, der nur Probleme macht und offenbar völlig unempfänglich für meine Annäherungsversuche.
    Ich wurde immer ungeduldiger. Mit diesem Mann verband sich etwas, das ich dringend herausfinden musste. Ich spürte das so deutlich, dass sich mir die Nackenhaare sträubten, und trotzdem –
    Denk nach, verdammt noch mal!
    Ein Fluss. Ein Armkettchen. Ein Glücksbringer: eine kleine silberne Katze. Nein, dachte ich. Das ist es nicht. Ein Fluss, ein Boot. Anouk. Rosette –
    »Sie haben Ihre Praline nicht gegessen«, sagte ich. »Sie sollten sie wirklich versuchen. Diese Sorte ist eine unserer Spezialitäten.«
    »Oh. Tut mir leid.« Er nahm sie zwischen die Finger, führte sie an die Lippen, hielt inne, runzelte die Stirn, vielleicht wegen des herben Kakaodufts, dieses dunklen, betörenden Dufts der Verführung –
    Nimm mich.
    Iss mich.
    Genieß –
    Und dann, als ich ihn fast so weit hatte, hörten wir Stimmen an der Tür.
    Er legte die Praline wieder weg und stand auf.
    Das Windspiel klingelte. Die Tür ging auf.
    »Vianne«, sagte Roux.
    Und nun war sie diejenige, die fassungslos dastand. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht, und sie hob abwehrend die Hände, als wollte sie einen schrecklichen Zusammenstoß verhindern.
    Hinter ihr wartete Thierry und schaute ein wenig irritiert. Vielleicht spürte er, dass etwas nicht stimmte, aber er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um das Offensichtliche zu erfassen. NebenVianne standen Rosette und Anouk, Hand in Hand. Rosette

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