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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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umgehen können. Zumindest wäre ich darauf vorbereitet gewesen.«
    Zozie setzte sich an den Küchentisch. »Er ist Rosettes Vater, stimmt’s?«
    Ich sagte nichts, sondern stellte den Backofen an. Ich wollte Ingwerplätzchen backen, die man an den Weihnachtsbaum hängen kann, mit Goldrand und Zuckerguss und mit einem farbigen Band.
    »Klar, es ist deine Sache«, fuhr sie fort. »Weiß Annie Bescheid?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Weiß es irgendjemand? Zum Beispiel Roux?«
    Plötzlich wurde mir ganz schwummerig, und ich ließ mich schnell in einen der Sessel sinken. Es war ein Gefühl, als wäre ich eine Marionette, und Zozie hätte meine Fäden durchtrennt, und nun geriet alles durcheinander, ich konnte nicht mehr sprechen und war völlig hilflos.
    »Ich kann es ihm doch jetzt nicht mehr sagen«, flüsterte ich schließlich.
    »Na, er ist ja nicht dumm. Er wird schon dahinterkommen.«
    Stumm schüttelte ich den Kopf. Es war das erste Mal, dass ich froh war über Rosettes Anderssein. Sie ist fast vier, sieht aber immer noch aus wie eine Zweieinhalbjährige und benimmt sich auch so, und wer glaubt schon an das Unmögliche?
    »Es ist zu spät«, murmelte ich. »Vor vier Jahren vielleicht, aber jetzt nicht mehr.«
    »Wieso? Habt ihr euch gestritten?«
    Sie klingt wie Anouk. Am liebsten hätte ich auch ihr erklärt, dass die Dinge nicht so einfach sind, dass Häuser aus Stein gebaut werden müssen, denn wenn der Wind heult, dann können nur die Mauern verhindern, dass wir weggepustet werden.
    Warum so tun, als ob? , sagt er in meinem Kopf. Was ist der Grund, weshalb du so krampfhaft versuchst, dich anzupassen? Was haben diese Leute, dass du so sein möchtest wie sie?
    »Nein, gestritten haben wir uns nicht«, sagte ich. »Wir haben nur verschiedene Wege eingeschlagen.«
    Plötzlich sah ich ein beunruhigendes Bild vor mir: Ich sah den Rattenfänger mit seiner Flöte, und alle Kinder folgen ihm, außer denen, die nicht gehen können und deshalb zurückbleiben, als der Berg sich schließt.
    »Und was ist mit Thierry?«, wollte sie wissen.
    Gute Frage. Hat er Verdacht geschöpft? Er ist ebenfalls nicht dumm, aber er ist mit einer Art Blindheit geschlagen, die entwederauf Arroganz oder auf Vertrauen beruht oder vielleicht auch auf beidem. Trotzdem ist er Roux gegenüber skeptisch. Ich habe das gestern Abend gesehen, diesen abschätzenden Blick, die instinktive Aversion des sesshaften Stadtmenschen gegenüber dem Wanderer, dem Zigeuner, dem Vagabund.
    Du suchst dir deine Familie selbst aus, Vianne , dachte ich.
    »Na ja, ich denke, du hast dich entschieden.«
    »Und die Entscheidung ist richtig. Das weiß ich.«
    Aber ich merkte, dass sie mir nicht glaubte. Als könnte sie es sehen – in der Luft, die mich umgab, wie Zuckerwatte, die sich um einen Holzstab spinnt. Aber es gibt so viele Arten von Liebe, und wenn das heiße, egoistische, wütende Begehren längst verglüht ist, dann muss man den Göttern danken für Männer wie Thierry, für diese zuverlässigen, fantasielosen Typen, die Leidenschaft für ein Wort halten, das nur in Büchern vorkommt, ähnlich wie Magie und Abenteuer.
    Zozie musterte mich mit einem geduldigen Lächeln, als würde sie erwarten, dass ich weiterrede. Als ich das nicht tat, zuckte sie die Achseln und hielt mir eine Schale mit Mendiants hin. Sie macht sie genauso wie ich. Die Schokolade ist so dünn, dass sie brechen kann, aber dick genug, um die Geschmacksknospen zu befriedigen, mit einer großzügigen Schicht aus dicken Rosinen, Walnuss, Mandel, dazu ein Schokoveilchen, eine kandierte Rose.
    »Versuch mal«, sagte sie. »Was meinst du?«
    Der Geruch von Schokolade stieg aus der kleinen Schale auf, ein Duft von Sommer und verlorener Zeit. Roux hatte nach Schokolade geschmeckt, als ich ihn das erste Mal küsste. Wir lagen nebeneinander, der Boden roch nach feuchtem Gras. Seine Berührungen waren so verblüffend sanft gewesen, und seine Haare hatten im schwindenden Licht geleuchtet wie rotgoldene Ringelblumen im Sommer.
    Zozie hielt mir immer noch die Schale mit den Mendiants unter die Nase. Die Schale war aus blauem Muranoglas, mit einer kleinen Goldblume an der Seite. Nichts Besonderes, aber ich mag sie sehr. Roux hat sie mir in Lansquenet geschenkt, und seither schleppeich sie mit mir herum, in meinem Gepäck, in meinen Taschen, wie einen Prüfstein.
    Als ich hochschaute, sah ich, dass Zozie mich genau musterte. Ihr Blick schien aber gleichzeitig weit weg, ihre Augen märchenblau, wie im

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