Himmlische Wunder
stimmt’s?«
»Wie bitte?«
»Mach es mal an.«
Das tat ich und sah eine SMS , die Thierry mir gestern Abend um halb neun geschickt hatte.
Ich liebe dich wie verrückt. Meine einzige Ausrede.
Bis morgen um 9 .
T. xx
»Oh«, sagte ich.
Er nahm meine Hand. »Es tut mir ehrlich leid wegen gestern Abend. Dieser Freund von dir –«
»Roux.«
Er nickte. »Ich weiß, wie lächerlich das klingen muss. Aber als ich ihn mit dir und Annie gesehen habe – und wie er geredet hat,als würde er euch schon jahrelang kennen –, da musste ich daran denken, dass ich gar nicht viel über dich weiß. Die Menschen aus deiner Vergangenheit, die Männer, die du geliebt hast –«
Ich musterte ihn erstaunt. Was mein bisheriges Leben angeht, war Thierry immer auffallend desinteressiert. Das gehört zu den Dingen, die mir an ihm gefallen. Dass er nicht neugierig ist.
»Er ist hinter dir her. Selbst ich habe das gemerkt.«
Ich seufzte. So läuft es immer. Die Fragen, die Nachforschungen, gut gemeint, aber voller Misstrauen.
Woher kommen Sie? Wohin gehen Sie? Besuchen Sie Verwandte hier ?
Thierry und ich haben ein stillschweigendes Abkommen getroffen, dachte ich. Ich rede nicht über seine Scheidung, er redet nicht über meine Vergangenheit. Bis gestern hat das hervorragend funktioniert.
Gutes Timing, Roux , dachte ich bitter. Aber andererseits – so ist er eben. Und jetzt ist seine Stimme in meinem Kopf, wie das Sausen des Windes. Mach dir nichts vor, Vianne. Du kannst dich hier nicht niederlassen. Du denkst, in deinem kleinen Häuschen bist du sicher. Aber ich weiß es besser, wie der Wolf im Märchen.
Ich ging in die Küche, um frische Schokolade zu kochen. Thierry folgte mir, schob sich in seinem dicken Mantel unbeholfen zwischen Zozies kleinen Tischen und Stühlen durch.
»Möchtest du etwas über Roux hören?«, fragte ich, während ich die Schokolade in den Topf rieb. »Also, ich kannte ihn, als ich im Süden gelebt habe. Eine Zeit lang hatte ich eine Chocolaterie in einem Dorf nicht weit von der Garonne. Er wohnte in einem Hausboot, fuhr zwischen den Ortschaften hin und her und erledigte Gelegenheitsjobs. Schreinerarbeiten, Dachdeckerarbeiten, Obstlese. Für mich hat er auch ein paar Sachen gemacht. Ich habe ihn seit über vier Jahren nicht mehr gesehen. Zufrieden?«
Er grinste verlegen. »Entschuldige, Yanne. Ich benehme mich idiotisch. Und ich wollte dich auf keinen Fall verhören. Das mache ich nie wieder – versprochen.«
»Ich hätte nie erwartet, dass du mal eifersüchtig wirst«, sagte ichund gab eine Vanilleschote und eine Prise Muskat in die Schokolade.
»Bin ich ja auch gar nicht«, sagte Thierry. »Und um es dir zu beweisen –« Er legte mir die Hände auf die Schultern und zwang mich, ihn anzusehen. »Hör zu, Yanne. Er ist ein Freund von dir. Und er braucht offensichtlich Geld. Ich meinerseits will die Wohnung unbedingt bis Weihnachten fertig haben – und du weißt ja, wie schwierig es um diese Jahreszeit ist, Leute zu finden –, und deshalb habe ich gedacht, ich biete ihm einen Job an.«
Ich starrte ihn an. »Ehrlich? Du hast ihm einen Job angeboten?«
Er grinste wieder. »Du kannst es gern als Bußaktion bezeichnen«, sagte er. »Es ist meine Art, dir zu beweisen, dass der eifersüchtige Mann, den du gestern Abend gesehen hast, nicht mein wahres Ich ist. Und dann ist da noch was.« Er griff in seine Manteltasche. »Ich habe hier etwas für dich. Eigentlich sollte es ein Verlobungsgeschenk werden, aber –«
Thierrys Kleinigkeiten fallen immer recht üppig aus. Vier Dutzend Rosen, Diamantschmuck aus London, Schals von Hermès. Ein wenig konventionell vielleicht – aber so ist er eben. Vorhersagbar bis zum Gehtnichtmehr.
»Na?«
Es war ein schmales Päckchen, kaum dicker als ein gefütterter Briefumschlag. Ich öffnete es: eine Reisebrieftasche aus Leder, mit vier Erste-Klasse-Flugtickets nach New York, datiert auf den 28 . Dezember.
Ich war fassungslos.
»Es wird dir gefallen«, sagte er. »Um das neue Jahr angemessen zu begrüßen, muss man nach New York. Ich habe uns ein tolles Hotel ausgesucht, die Kinder werden begeistert sein – bestimmt liegt Schnee –, und dann gibt’s Musik und Feuerwerk.« Er umarmte mich enthusiastisch. »Ach, Yanne, ich kann es kaum erwarten, dir New York zu zeigen!«
Ich kenne New York. Meine Mutter ist dort gestorben, in einer belebten Straße, am Unabhängigkeitstag, vor einem italienischenDeli. Es war heiß, die Sonne schien. Im Dezember
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