Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
uns, wir schliefen miteinander. Das alles war weich und fließend, zärtlich und sanft, dabei doch kraftvoll und intensiv; getragen von achtsamer Aufmerksamkeit, hingegeben ans Hier und Jetzt. Wir waren ganz wach und ganz bewusst. Und es fühlte sich richtig gut an.
Doch nicht nur unsere Körper waren sanft und zärtlich, auch unsere Worte waren es. Ich bin mir sicher: Verliebte neigen zur Poesie. Sie wollen einander auch mit Worten streicheln. Mir jedenfalls ging es so. Himmel, wie viele Liebesgedichte habe ich dir geschrieben! Die literarische Qualität mag zweifelhaft gewesen sein, aber jedes Wort darin war echt – ein Ausdruck des Herzens, ein Flirt der Seele.
Ein Blick in die Literatur macht es deutlich: Poesie ist die Sprache der Liebenden – und ein Mangel an Poesie verrät immer einen Mangel an Liebe. Denn Poesie wahrt das Geheimnis. Sie zerrt nicht alles ans Licht, sondern ihr eignet eine eigentümliche Demut vor diesem ungewollten und ungemachten Ereignis des In-die-Liebe-Fallens. Doch ist Poesie nicht die einzige Sprache der Liebenden. Auch die Musik zählt dazu und derTanz. Und dann gibt es noch die Sprache des Fragens: dieses behutsame Auskundschaften der geliebten Seele – aus echter Sehnsucht, ganz einzudringen und zu verschmelzen mit diesem Wesen, das uns so sehr berührt. Jahre nach unserer Trennung erzähltest du mir einmal von den langen Nächten mit dem Mann, den du inzwischen geheiratet hattest – von Nächten, in denen ihr euch euer Leben ausgebreitet habt, eure Pläne und Träume. Ihr fragtet einander – und ihr hörtet einander zu. Aufmerksam, behutsam, zärtlich. Es ist wohl kein Zufall, dass das griechische
ich frage
–
erotao
ganz ähnlich klingt wie
ich liebe
–
erao
.
Zärtlich und achtsam durchs Leben streifen; empfänglich für die Schönheit in allem, in gesteigerter Aufmerksamkeit für alles; in festlicher Stimmung, wie an einem Feiertag – aber eben nicht nur an einem Tag, sondern ein ganzes Leben lang; intensiv, in kräftigen Farben. Verliebt ins Leben: das ist, worum es mir geht. Das ist es, worin ich den Sinn des Lebens erblicke.
Schatten in der Liebe
Liebe ist Besitzen und Besessenwerden;
es kann keiner ihre Grundtendenz
ändern, nur mildern
.
Diotima
Okay, bis jetzt haben wir uns all das angeschaut, was strahlte und leuchtete an unserem Verliebtsein. Jetzt intervenierst du vielleicht. Jetzt bestehst du darauf, dass wir uns auch die andere Seite anschauen. „Halt“, höre ich dich sagen, „Das war nicht alles.“ Und – seufz – es stimmt.
Ich hatte ja schon kurz von den Schatten gesprochen, die eben nicht fehlen, wo viel Licht ist. So auch in unserer damaligen Verliebtheit. Da war nicht alles Gold – da war auch viel Schrott und Müll. Du zwingst mich dazu, ehrlich sein. Gut so. Natürlich war die erste Verliebtheit noch nicht reif. Wie hätte sie auch reif sein können? Ich war jung damals, du warst jung damals. Wir hatten die Schulen des Lebens noch nicht durchlaufen. Aber wir waren schön. Und unschuldig. Lass uns ein Glas trinken auf unser einstiges Verliebtsein. Es war eine kostbare Zeit, die ich um nichts missen möchte. Lass sie uns würdigen und ehren.
Und jetzt schauen wir uns an, was daran nicht so toll war.
Ja, da waren die Missverständnisse, die enttäuschten Erwartungen. Ich wollte dich anders, als du warst. Du wolltest mich anders als ich war. Ich phantasierte etwas in dich hinein, wollte dich nach meinem Bild formen. Du entzogst dich, gingst fremd. Ich entzog mich, ging fremd. Wir liebten einander inniglich und fanden doch nicht wirklich zueinander. Wir wussten, dass wir ein Paar sind, und trafen doch nicht die rechte Form, unsere Partnerschaft zu leben. Wir waren verzweifelte Suchende. Wir waren in unserer Suche verbunden, aber sie führte uns zuletzt in entgegengesetzteRichtungen. So trenntest du dich von mir. Zu Recht, wie ich heute sagen kann. Wir waren noch nicht reif füreinander. Es ist gut, dass du damals diesen Schritt gehen konntest, auch wenn für mich die Welt zusammenbrach. Wie hätte ich, ohne diese Lektion gelernt zu haben, damit klarkommen können, als du endgültig diese Welt verließest?
Du weißt, dass ich viel und lange darüber nachgedacht habe, was damals schiefgegangen ist. Und ich bin dir dankbar, dass du später, als wir wieder Freunde geworden waren und du zu einem Teil meiner Familie wurdest, immer wieder das Gespräch mit mir gesucht hast. Deshalb scheue ich mich auch nicht, noch einmal vor dir auszubreiten,
Weitere Kostenlose Bücher