Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
der scheint da nicht viel übrigzubleiben. Denn wer vom Eros gepackt wird, ist unweigerlich auch sein Gefangener. Eros schafft Verbindlichkeit, nicht Freiheit. Und genau das schmeckt uns nicht. Das schmeckt unserem Ich nicht, denn das Ich möchte sich behaupten, seine Ziele verfolgen, seine Interessen wahrnehmen. Das Ich lässt sich ungern gefangen nehmen oder in Bann schlagen. Es tritt ungern die Kontrolle ab und überlässt das Feld dem Herzen, das sich vom Eros hinreißen lässt. Dann gönnt es sich doch lieber mal eine ästhetische Auszeit – sei’s vor dem Fernseher, im Kino, im Touristenbus oder wo auch immer. Das ist der Grund dafür, warum in einer vom Ich und seinem rationalen Verstand dominierten Welt so etwas wie Schönheit nur ästhetisch domestiziert existieren darf, so dass sie uns eben nicht hinreißt und fesselt, sondern uns einfach nur gefällt.
Damit aber, und nun komme ich endlich zu deiner Frage, ist ihrer kommerziellen Verwertung Tür oder Tor geöffnet. Denn wenn Schönheit uns nichts mehr angeht, dann kann man sie zur Ware machen. Das funktioniert deswegen besonders gut, weil es neben der dominanten ästhetischen Wahrnehmung in den Seelen und Herzen der Menschen natürlichimmer noch erotische Anteile gibt, die nur darauf warten, sich hinreißen zu lassen oder hingerissen zu werden. Also wird euch Frauen (den Männern aber auch) weisgemacht, sie müssten nur hinreichend die Ware Schönheit konsumieren, sie sich aneignen und in ihren Besitz bringen, um dadurch hinreißend, begehrenswert, erfolgreich zu sein. Wenn du mich fragst, ist es ein faules Spiel, das hier gespielt wird. Aber eines, mit dem man richtig viel Geld verdienen kann.
Lass es mich noch mal so sagen: Wir leben in einer Welt, in der wir durch Medienkonsum, Tourismus und Kulturbetrieb zu ästhetisch Wahrnehmenden erzogen werden. Wir suchen Schönheit, um uns angesichts ihrer zu entspannen, unseren Stress zu kompensieren, einfach mal durchzuhängen und nur genießen zu können. Was, da uns diese Welt gleichzeitig dauernd stresst, nicht mal der schlechteste aller Zeitvertreibe ist. Nur: Auf diese Weise werden wir kalt und glatt. Wie bleiben an der Oberfläche. Wir verschließen unser Herz. Wir verlieren den Kontakt mit unserer Umwelt und mit den Mitmenschen. Und wir machen Schönheit zu einem technisch reproduzierbaren Konsumartikel (wie der Philosoph Walter Benjamin gezeigt hat), der uns nicht mehr im Herzen berührt. Genau das finde ich so schade. Dagegen möchte ich Einspruch erheben, indem ich an das alte erotische Verständnis von Schönheit erinnere. Weil ich davon überzeugt bin, dass es für uns Menschen kaum etwas Beglückenderes geben kann, als hin und weg zu sein.
Vom Irrsinn
des 90-60-90
Die schönen Frauen verdienen
es, von jedermann gepriesen und
wertgeschätzt zu werden, weil eine
schöne Frau das schönste ist, was sich
denken lässt, und die Schönheit das
größte Geschenk darstellt, das Gott
dem menschlichen Geschlecht hat
machen können
.
Agnolo Firenzuola
Verstehst du, warum ich deine Klage berechtigt finde? Ich bin davon überzeugt, dass uns unser unterkühltes, ästhetisches Schönheitsverständnis nicht guttut – und dass darin der eigentlich Grund dafür liegt, dass Schönheit heute eher im Sinne einer Industrienorm verstanden wird als im Sinne der Epiphanie einer Göttin.
Denn über eines müssen wir uns im Klaren sein: Erblindet das Herz und wird es für Schönheit unempfindlich, fehlt uns der innere Maßstab, mit dem wir Schönheit beurteilen können. Wir können dann nicht umhin, nur noch dasjenige schön zu finden, was uns die Medien- und Werbeleute als schön anpreisen. Und die wollen uns mit Vorliebe etwas als schön verkaufen, was möglichst unerreichbar ist; denn je unerreichbarer es ist, desto mehr Zeit und Geld müssen wir darauf verwenden, dorthin zu kommen – gleichviel, ob es sich dabei um Traummaße à la 90-60-90 handelt oder darum, nun endlich und unbedingt die Iguazu-Fälle gesehen haben zu müssen. (Nichts gegen die Iguazu-Fälle)
Was ich damit sagen will: Durch die ästhetische Distanzierung vom Schönen wird es möglich, einen Schönheitsstandard vorzugaukeln, an dem wir uns auszurichten haben. Dieser Standard wird uns nonstop vor Augen geführt, es wird uns damit gesagt: So musst du sein, und wenn du nur willst und den Preis dafür zahlst, kannst du es auch. Das ist ein Appell an dein Ich, an deinen Willen, dich dieser Norm konform zu gestalten, damit du die Aufmerksamkeit
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