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Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Titel: Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Quarch
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hat diese ästhetische Wahrnehmung von Schönheit so klar auf den Begriff gebracht wie Immanuel Kant. Der klassische Text dafür ist seine
Kritik der Urteilskraft
. Darin definiert er die ästhetische Erfahrung des Schönen als „interesseloses Wohlgefallen“. Wenn ich, so sein Gedanke, etwas wahrnehme, das mir gefällt und Freude bereitet, ohne dass ich mich dazu auf bestimmte Weise verhalten muss, dann sage ich zu diesem Etwas: „Das ist schön.“ Dabei aber rede ich, meint Kant, ziemlich verworren, denn eigentlich meine ich: „Angesichts dieses Etwas fühle ich mich frei“ – und zwar frei davon, dieses Etwas benutzen, gebrauchen, deuten, identifizieren zu müssen. Ich kann es einfach auf mich wirken lassen und mich daran erfreuen. Was zählt, ist das „Wohlgefallen“. Selbst wenn dieses Etwas, das mich da erfreut, gar nicht existieren sollte, sondern lediglich auf Einbildung beruhte, täte das meiner Freude keinen Abbruch. Deshalb „interesseloses Wohlgefallen“. Es gefällt mir, ohne dass ich Interesse an ihm hätte – nicht mal an seiner Existenz.
    Kant geht also davon aus, dass die Erfahrung von Schönheit die Erfahrung von Freiheit ist: Angesichts des Schönen sind wir frei. Und diese Freiheit reicht bei ihm so weit, dass ich frei davon bin, mir das Schöne aneignen zu müssen; es widersetzt sich der Aneignung geradezu. Wennich zum Beispiel eine Blume ästhetisch wahrnehme, frage ich nicht, was ich mit ihr anfangen kann, sondern ich nehme sie einfach nur wahr als das, was sie ist. Deshalb ist für Kant der Inbegriff des Schönen eine Arabeske oder ein Ornament. Etwas, das gefällig ist und meine Aufmerksamkeit auf sich lenkt und gerade deswegen als schön empfunden wird, weil es sich meinem Begreifen und Zugreifen entzieht. Diese Freiheit von meinem alltäglichen, rationalen Umgang mit den Dingen erlaubt es mir, etwas einfach nur – interesselos – zu genießen. Und genau das macht die ästhetische Wahrnehmung aus.
    Du willst wissen, was das mit deinen Fragen zu tun hat? – Folgendes: Die Deutung von Schönheit nach Maßgabe der ästhetischen Wahrnehmung legt es uns nahe, zum Schönen ein distanziertes Verhältnis aufzubauen. Eigentlich geht mich das Schöne nichts an, wenn ich es ästhetisch wahrnehme. Es fesselt mich nicht, es berührt mich nicht, es lässt mich kalt – und frei. Eine klassische ästhetische Szene ist für mich der Reisebus. Touristen neigen dazu, die Welt, durch die sie sich bewegen, ästhetisch wahrzunehmen – durch das Panoramafenster hindurch. So rollen sie vollklimatisiert und bequem durch fremde Städte von einer Sehenswürdigkeit zur anderen, aber das ganze Setting macht es ihnen unmöglich, sich berühren zu lassen. Sie riechen nichts, sie schmecken nichts, sie fühlen nicht den Rhythmus der Stadt, die Eigenheiten der Menschen. Sie sitzen interesselos ihrem Bus und genießen ästhetisch – auf sicherem Posten, distanziert, kühl.
    Und da sehe ich das Problem: Wir alle haben uns diesen ästhetischen Blick einverleibt. Mit jeder Stunde, die wir vor dem Fernseher sitzen, geht er uns mehr in Fleisch und Blut über. Wir sehen Bilder, die uns erschüttern müssten, aber sie berühren uns nicht. Wir sehen ebenso Bilder, die uns hinreißen müssten, so schön sind sie. Aber sie lassen uns kalt. – Warum? – Weil wir unsere Herzen dichtgemacht haben. Weil wir cool geworden sind; was das Leben zwar bequemer macht, aber verhindert, dass wir auch mal hin und weg sind.
    Hier liegt für mich das Problem der Ästhetik. Sie verhindert, dass wir mit dem Herzen hinschauen. Sie hält uns im Kopf, sie koppelt uns ab vom Gefühl. Das verschafft uns zwar einige Freiheit (was gut ist), aber sie nimmt uns die Chance, mit unserer Seele in Berührung zu kommen (was schlecht ist).
    Bei der erotisch erfahrenen Schönheit, von der ich in meinem Brief an meine frühere Geliebte geschrieben habe, ist das vollkommen anders. Sie ließ mich keineswegs kalt, ihre Schönheit riss mich hin, begeisterte mich, berührte mich. So wie auch deine Schönheit mich begeistert und inspiriert. Ich sehe dieses Leuchten, und ich kann meinen Blick nicht davon wenden. Diese Schönheit schlägt mich in ihren Bann – ganz so wie die goldglänzende Aphrodite den Anchises in ihren Bann schlug. Und natürlich habe ich größtes Interesse daran, dass es das Wesen, das diese Schönheit ausstrahlt, tatsächlich gibt. Interesselosigkeit? – Von wegen!
    Und die Freiheit? Die schöne Freiheit, die Kant so pries? Tja, von

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