Hingabe
die Folter spannen. Worum geht es?“
Herr Dr. von Hagen räusperte sich kurz: „Ich würde Sie bitten, heute Abend nach Berlin zu fliegen. Morgen früh ist dort eine Besprechung, an der Sie unbedingt teilnehmen müssen. Dienstag schauen Sie sich bitte nach Wohnungen um. Meine Sekretärin hat Ihnen schon eine Vorauswahl vorbereitet. Der Rückflug ist für Mittwochvormittag vorgesehen. Sehr wahrscheinlich brauchen wir Sie früher in Berlin.“
Er schaute direkt in ihre Augen, er versuchte, ihre Reaktion genau zu sehen. Lenas Gesicht zeigte ehrliche überraschung und Gespanntheit.
„Jetzt so schnell? Ist etwas passiert?“
„Die Besprechung wird Ihnen über einiges Aufschluss geben. Ich kann Ihnen nur so viel sagen: In der Firma wird es eine Veränderung geben. Und da Sie sowieso nach Berlin gehen, sind Sie die ideale Neubesetzung.“
„Dann muss ich aber heute früher nach Hause, ich bin es nicht gewohnt, einen Notfallkoffer im Büro zu haben.“
Lena lachte und schaute Herrn Dr. von Hagen gewinnend an.
„Das wollte ich Ihnen vorschlagen. Machen Sie heute Mittag Schluss. Packen Sie Ihren Koffer und nehmen Sie ein Taxi zum Flughafen. Die Maschine geht um 18:45.“
Herr Dr. von Hagen übergab Lena eine Mappe.
„Darin ist alles, was Sie wissen müssen. Es wäre schön, wenn Sie mich nach dem Meeting anrufen.“
„Selbstverständlich. Ich werde mich danach melden.“
Sie tauschten noch einige Nebensächlichkeiten aus, schließlich verabschiedete sich Lena. Herr Dr. von Hagen schaute sie an.
„Ich finde es großartig, wie Sie sich bei uns entwickelt haben. Es ist Ihre Chance. Ich halte viel von Ihnen.“
„Vielen Dank. Ich weiß, dass ich meine Chance nutzen werde.“
Herr Dr. von Hagen schaute sie ernst an.
„Genau das, Lena, ist der Grund, warum SIE nach Berlin gehen.“
Nachdenklich ging Lena wieder in Richtung ihres Schreibtisches. In den letzten 24 Stunden schien sich ihr komplettes Leben umzukrempeln. Sie hatte die Nacht ihres Lebens erlebt.
Intensiv, geil, uferlos.
Hingabe und Aufgefangen-werden.
Ultimativ.
Und jetzt sollte sie alles verändern. Aus Hamburg weg, nach Berlin. Beruflicher Aufstieg.
Was würde mit Marcus werden?
Zum ersten Mal seit Tagen stellte sie sich heute diese Frage.
Marcus. Sie war glücklich mit ihm. Bis vor wenigen Tagenschien es ihr so, als wäre sie glücklich. Jetzt war alles verändert. Beschränkt glücklich war sie gewesen. Unausgefüllt glücklich. In dem Rahmen glücklich.
Es hatte nicht mit ihm zu tun. Es hatte mit ihr zu tun. Sie hatte es immer in sich getragen. Diese Sehnsucht war schon immer in ihr. Sie hatte es vorher weder genau gekannt noch gewusst. Vielleicht geahnt. Davon geträumt. Aber unspezifisch. Diffus. Namenlos.
Dies: Absolute Hingabe.
Mit Marcus war es schön und nah, intim und gleichzeitig freundschaftlich.
Es war so, als ob es so gehörte, als mache es Lena glücklich. Harmonisch und selbstbestimmt. Durch sie selber.
Doch gestern Nacht war eine Offenbarung. Das Leben hatte mehr zu bieten als das. Vor dieser Nacht war es wie ein Spiel, auch in der Tiefgarage.
Jetzt war alles anders.
Lena wusste es.
Nichts war mehr wie vorher.
Ihr Leben konnte nicht mehr dasselbe sein.
In Gedanken versunken erreichte Lena ihren Schreibtisch. Sie legte die Mappe neben die Tastatur und öffnete ihr E-Mail-Programm.
Seine Mail wartete auf sie.
Immer noch.
Unberührt.
Lena atmete tief durch und klickte die Mail an.
„Lena,
Du warst da.
Hast auf mich gewartet.
Du warst für MICH da.
Ich habe dich genossen.
Und ich spüre dich noch.
Danke für dein Geschenk.
M.“
Lena starrte einige Momente auf den Bildschirm.
Sie wusste, sie musste eine Entscheidung fällen. Vielleicht nicht sofort, aber bald.
Würde sie sich nicht entscheiden, würde sie irgendwann eine Entscheidung hinnehmen müssen.
Ausgerechnet heute musste sie nach Berlin.
Mitten im Fluss ihrer Gedanken standen aber alltägliche Dinge auf dem Programm: Packen, Einchecken, Fliegen.
Sich ins Hotel fahren lassen. Auf das Meeting vorbereiten.
In jedem Fall aber würde sie sich die Zeit nehmen, um Marcus anzurufen.
Und was war mit M.?
Was war mit der letzten Nacht?
Es kam ihr vor, als sei sie aus einer Parallelwelt in ihr normales Leben zurückgekehrt.
Sie wusste noch alles, was geschehen war, wie es geschehen war. Auch was sie gefühlt und gespürt hatte.
Und doch war sie wieder zurück.
In dieser Welt.
Lena überflog die weiteren E-Mails. Nichts Dringendes. Den Rest würde
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