Hinreißend untot
verlassen. Und irgendwie musste ich dafür sorgen, dass ich nie,
nie
wieder wehrlos sein würde. Ich versuchte gerade, erneut auf meine Macht zuzugreifen, als ich eine vertraute Stimme hörte. »I'll take you home again, Kathleen, across the ocean wild and wide«, sang sie ebenso fröhlich wie falsch. Die Stimme war nicht besonders laut und lallte, aber ich erkannte sie sofort. »Billy!« Fast hätte ich vor Erleichterung geweint.
Der Gesang hörte abrupt auf. »Cassie, mein Schatz. Ich hab einen Vers für dich. Is’ mir im Lokal eingefallen.«
Da war mal ein Geist, Billy er hieß Auf eine Dummheit er sich einließ. Ein schönes Mädel erfand, Bat sie nicht nur um die Hand Und vergaß dabei, dass ihn mit dem Leben auch der Fimmel verließ.
»Wo bist du?«, rief ich. »Was ist los?« Die einzige Antwort, die ich bekam, war der Refrain von »The Belle of Belfast City«. Typisch Billy: Er weckte in mir den Wunsch, ihn zu erwürgen, obwohl er nicht einmal im gleichen Zimmer war. »Du bist betrunken!«
»Das bin ich, ja«, bestätigte er. »Aber ich bin auch wach, und das ist mehr, als mein orangefarbener Freund hier von sich behaupten kann. Verträgt nichts, der Bursche.«
»Billy!«
»Na schön, Cass. Immer mit der Ruhe. Der gute alte Billy verklickert dir alles. Die Dunklen Elfen haben uns geschnappt. Mich haben sie aus ’ner gemütlichen Kneipe geholt und dann in dieses nasskalte Loch geworfen, nur mit ihm als Gesellschaft, damit ich hier sitze, bis der König mich zu sich holt.« Ich seufzte erleichtert. Wenigstens hatte man nicht vor, uns am nächsten Morgen zu köpfen oder ähnliche mittelalterliche Dinge mit uns anzustellen. Dadurch bekamen die anderen Zeit, uns zu finden, vorausgesetzt, sie waren noch frei. »Wo sind die anderen?«, fragte ich und hoffte, dass es ihnen besser erging als mir. Sonst steckten wir in großen Schwierigkeiten. »Pritkin und Marlowe versuchen, den Hauptmann der Wache – eine fiese Fee – dazu zu bringen, uns freizulassen, aber ich weiß nicht, ob ihnen das gelingt.« Billy zögerte und fuhr in einem anderen Tonfall fort: »He, Cass. Was würde deiner Meinung nach mit mir passieren, wenn ich hier den Löffel abgebe? Im Feenland gibt es keine Geister, oder?«
Ich dachte an Mac, an sein im Tod erschlafftes Gesicht, an die trüben Augen. Wenn ein Geist oder auch nur ein Lebensfunke den toten Körper verlassen hatte, war er mir nicht aufgefallen. Neues Schaudern erfasste mich. Mein Gott, was hatte ich getan?
»Was is’, wenn wir hierbleiben?«, fragte Billy. »Was is’, wenn ich … wenn ich hier sterbe und es diesmal kein Schlupfloch gibt? Was is’ …«
»Billy!« Ich bemühte mich, den hysterischen Klang meiner Stimme abzuschwächen, aber es gelang mir nicht ganz. Ich schluckte und versuchte es erneut. »Du wirst nicht sterben, Billy. Wir kommen hier raus.« Ich wollte damit nicht nur ihn beruhigen, sondern auch mich selbst, aber ich fürchte, es klappte weder bei ihm noch bei mir.
Ich hörte einen rasselnden Schlüsselbund außerhalb meiner Zelle, und die große Tür schwang an alten Angeln auf. Laternenlicht fiel in den Raum und blendete mich fast. Ich hielt mir die Hände vor die Augen, spähte durch die Lücken zwischen den Fingern und erkannte einen Wächter, der jemanden trug. »Tomas!«
Der Wächter war nur etwa anderthalb Meter groß und trug den einsachtzig großen Vampir so, als wöge er überhaupt nichts. Er legte ihn auf die Pritsche, und als er sich dann zu mir umdrehte, bemerkte ich die Eber-Fangzähne in seinem breiten Mund.
Oger,
vermeldete ein Teil meines Gehirns. Das Geschöpf stieß mir einen kurzen, dicken Finger an die Brust und brummte. Die Stimme klang wie Kies, über den ein Panzer rollte, und das Brummen enthielt vermutlich Worte, aber ich verstand sie nicht.
»Er will, dass du ihn heilst«, kam eine Stimme von der Tür. Hinter dem breiten Kerkermeister stand eine schlanke Brünette, die ein prächtiges grünes Gewand mit roten Stickereien trug. Ich brauchte einige Sekunden, um sie zu erkennen. »Francoise?« Es war bizarr. Wohin es mich auch verschlug – es dauerte nicht lange, bis sie mir über den Weg lief. Das erste Mal waren wir uns im Frankreich des siebzehnten Jahrhunderts begegnet; Tomas und ich hatten sie dort vor der Inquisition gerettet. Dann war sie mit der Fee im Dante’s erschienen und sollte an die Elfen verkauft werden. Ich hatte sie befreit, aber das Schicksal schien ihr ebenso dicht auf den Fersen zu sein wie mir, denn hier
Weitere Kostenlose Bücher