Hinreißend untot
standen wir uns erneut gegenüber. »Was machst du hier?«, fragte ich verwundert.
»Du und
le Monsieur,
ihr habt mir einmal geholfen«, antwortete sie schnell. »Ich bin gekommen, um … Wie sagt man? Um den Gefallen zu erwidern.«
»Was ist mit den anderen?«, fragte ich schnell. »Ich bin mit einer Gruppe gekommen …«
»Qui, je sais.
Der Magier, er trifft eine Vereinbarung mit Radella. Sie ist Hauptmann der Nachtwache,
une grande baroudeuse,
eine Kriegerin mit großem Geschick.«
»Was für eine Vereinbarung?«
»Der Magier hat eine Rune der Macht, die Radella lange gesucht hat. Sie wünscht sich vor allem ein Kind, ist aber
infeconde,
unfruchtbar. Der Magier meinte, dass er die Rune für sie einsetzt, wenn sie uns hilft.«
»Jera.« Na so was, das Ding erwies sich tatsächlich als nützlich.
»Cest ca.«
Francoise sah zum Oger, der uns argwöhnisch anstarrte. Ich gewann den Eindruck, dass er kein Englisch sprach, zumindest nicht gut genug, um einem Gespräch zu folgen. »Sie wissen nicht, warum
le Vampire
nicht erwacht. Ich habe ihnen gesagt, dass du eine große Heilerin bist und ihn retten kannst.«
»Er befindet sich in einer Heiltrance. Er hilft sich selbst. Hoffentlich.«
»Es spielt keine Rolle«, sagte Francoise, lächelte und nickte dem Oger zu. »Ich möchte euch beide nur zusammen haben, in der Nähe des Portals. Ich kehre bald zurück, nach dem Wachwechsel.«
»In der Nähe des Portals? Aber …«
»Ich tue, was ich kann«, sagte Francoise, als der Oger an ihr vorbeistapfte – er war offenbar zu dem Schluss gelangt, dass das Gespräch lange genug gedauert hatte. »Aber du musst mir versprechen, mich mitzunehmen. Bitte, ich bin schon so lange hier …«
»Du bist seit einer Woche hier«, erwiderte ich verwirrt und wollte erklären, dass ich das Portal nicht brauchte. Ich musste Myra finden. Es ging mir nicht darum, dorthin zurückzukehren, wo ich mit der Suche nach ihr begonnen hatte, erst recht nicht mit einem
Geis,
der jederzeit aktiv werden konnte, und mit Senat und Kreis, die es auf mich abgesehen hatten. Schlimmer noch: Wenn wir jetzt zurückkehrten, war Mac ganz umsonst gestorben. Doch der Oger, der seine Laterne auf den Boden gestellt hatte, machte Anstalten, die Tür zu schließen. François sah mich über seine Schulter hinweg an, und Panik lag in ihren Augen. »In Ordnung, ich verspreche es!«, sagte ich. Selbst eine Woche fühlte sich an diesem Ort vermutlich wie eine Ewigkeit an, und ich wollte nicht, dass hier jemandem widerfuhr, was fast mit mir geschehen wäre. Ich stand in der Mitte der Zelle und hörte, wie sich draußen die schweren Schritte des Ogers entfernten. Alles in mir drängte danach, Tomas zu untersuchen, aber gleichzeitig fürchtete ich mich davor. Was wenn es ihm nicht besser ging? Was wenn er sich gar nicht in einer Heiltrance befand und wir die ganze Zeit über eine Leiche mit uns geschleppt hatten?
Schließlich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und ging zur Pritsche. Tomas lag im Licht der Laterne auf dem Rücken, aber Brust und Bauch waren unter dicken Verbänden verborgen. Jemand hatte bessere Arbeit geleistet als ich bei meinen hastigen Bemühungen. Von dicht unter seinen Brustwarzen bis zu den muskulösen Oberschenkeln sah er praktisch wie eine Mumie aus. Die Verbände waren alles, was er trug, aber das bemerkte ich kaum, denn ich sah das Glitzern seiner dunklen Augen unter den halb geschlossenen Lidern.
»Tomas!« Ich beugte mich über ihn und fühlte seine kalte Haut. Das war kein gutes Zeichen. Ich wusste nicht, woher das Gerücht kam, dass Vampire kalt waren. Wenn sie nicht gerade kurz vor dem Hungertod standen, waren sie ebenso warm wie Menschen – immerhin ernährten sie sich von menschlichem Blut. Ich nahm die Decke ab, wickelte sie um ihn und versuchte, so viel wie möglich von seiner Haut zu bedecken.
Er lächelte und zog schwach an meiner Hand, und ich setzte mich neben ihn. Auf der schmalen Pritsche gab es kaum Platz für uns beide, aber er bestand darauf. »Endlich habe ich dich nackt im Bett, aber ich bin zu müde, um das auszunutzen«, scherzte er. Ich hätte vor Erleichterung weinen können. Ich strich mit dem Handgelenk über die Seite seines Gesichts, aber er wich zurück. Er wusste, was ich ihm anbot, und er brauchte es dringend. Ich hielt ihm das Handgelenk an die Wange und richtete einen ernsten Blick auf ihn. »Trink. Ohne mein Blut wirst du nicht gesund.«
»Du brauchst deine Kraft.«
»Dann nimm mir nicht viel, aber komm
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