Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
Vom Netzwerk:
heißt, dann schreib deinen Namen über den Strich. Wenn du es nicht weißt, dann mach ein Kreuz unter den Strich. Ich war ein wenig beleidigt, dass man mir erst große Angst wegen der Aufnahmeprüfung gemacht hatte, um mir dann so etwas hinzulegen.
    Ich gab den Test als Erste ab und ging zurück zu meinen Eltern, die auf einer Bank neben dem Sportplatz auf mich warteten.

    Zwei Tage später rief die graue Sekretärin an und teilte meiner Mutter mit, dass ich als Testbeste abgeschnitten hatte. Meine Mutter hatte die letzten zwei Tage nicht aufgehört, über die Schule zu schimpfen. So etwas sei keine Schule, sondern ein Puff, so etwas habe sie selbst in Deutschland nicht erlebt. Sie fand, so eine Schule habe keinen Sinn. Mein Vater war der Meinung, dass eine gute Schulbildung wichtig sei, und die Deutsche Schule habe nun mal den besten Ruf unter allen Auslandsschulen, sogar besser als die feine Französische, Lycée Razi. Aber Französisch konnte ich ja gar nicht. Ich konnte nur Deutsch.
    Dann geht sie eben auf eine persische Schule, sagte meine Mutter kalt.
    Eine persische Schule! Auf persischen Schulen waren Jungs und Mädchen getrennt, und man musste hässliche Uniformen tragen. Eine solche Schule mit stinkenden persischen Kindern, die Naan mit Schafskäse aßen, kam überhaupt nicht in Frage.
    »Woher willst du wissen, dass persische Kinder stinken?«, fuhr meine Mutter mich an.
    »Susan stinkt.«
    Meine Cousine stank tatsächlich nach Kinderschweiß und Kopftalg.
    »Kein Theater, auf diese unsittliche Schule gehst du nicht. Das hat gerade noch gefehlt.«
    Es war ja nicht so, dass ich überhaupt gerne auf eine Schule gegangen wäre. Ich wusste, ich würde auch diese Schule hassen. Aber ich brauchte Freunde und die Gelegenheit, jeden Tag von zu Hause zu verschwinden. Eine persische Schule wäre kein Zufluchtsort, sondern noch schlimmer, als mit meiner Mutter zu Hause zu sein.
    Meine Mutter hatte Termine bei ein paar angesehenen persischen Privatschulen gemacht und mich gezwungen, meine verwaschene Lieblingsjeans mit den Nieten und dem breiten Ledergürtel mit dem schweren Micky-Maus-Kopf und die Turnschuhe auszuziehen und ein Kleid anzuziehen. Dazu flocht sie aus meinen langen, immer ungekämmten Haaren einen festen, spießigen Zopf.
    Die erste persische Schule, die wir besuchten, war ein niedriger Backsteinbau. Draußen war ein asphaltierter Handballplatz, und an einem Fahnenmast wehte die grün-weiß-rote iranische Flagge mit dem goldenen Löwen in der Mitte. Auf dem Schulhof und auf den Fluren war es wie ausgestorben, alle Schüler saßen im Unterricht, niemand lungerte draußen herum. Ich sah durch die Fenster die Uniform der Mädchen: blaue Kleider mit weißem Kragen. Sie sahen aus wie Häftlinge, fand ich. Ich würde das nie anziehen, niemals, dachte ich und wurde immer wütender. Ich begann, mir verschiedene Fluchtversuche auszumalen. Wie konnte ich heimlich aus diesem Land ausreißen? Vielleicht wollten mich ja die Eltern von Annette adoptieren?
    Warum musste man als Kind immer dasselbe machen wie die Eltern? Ich wollte lieber alleine und ohne Eltern sein. Meine Mutter konnte zwar gut kochen und manchmal auch sehr liebevoll sein, aber sie war es in der letzten Zeit immer seltener. Seit wir in Teheran waren, eigentlich gar nicht mehr. Die Direktorin war eine hässliche Frau mit einer schmalen Hakennase, extrem dünn gezupften, gelb gefärbten Augenbrauen, orange blondierten Haaren, einem schlecht sitzenden Kostüm und dicken Füßchen in engen, hohen Pumps. Ich ekelte mich vor ihr und bildete mir ein, sie würde nach Küchendunst riechen. Wir saßen in einem kahlen, mit billigen braunen Büromöbeln eingerichteten Büro. Hinter ihr war ein goldgerahmtes Bild vom Schah.
    Bei Rektor Walter herrschte eine leise, akademische Eleganz, die fehlte hier völlig. Meine Mutter erklärte der zu dünn Gezupften wohl unsere »Situation«, mit einer für ihre Verhältnisse sogar erstaunlich devoten und freundlichen Art. Als sie fertig war, nickte die Direktorin, blickte mich freundlich an und sagte etwas zu mir. Ich sah sie verblödet an und rutschte auf meinem Stuhl herum. Sie sagte noch einmal etwas, ich schaute noch verblödeter und scharrte dazu mit dem Fuß und starrte dann auf den Boden. Dann sah sie meine Mutter an und schüttelte mit einem entschuldigenden Lächeln den Kopf.

    Ich kam in die Klasse 4d der Grundschule der Deutschen Schule. Es war mittlerweile Ende November, das Schuljahr hatte schon vor fast drei

Weitere Kostenlose Bücher