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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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Monaten angefangen, so stieß ich als Letzte in eine bereits eingeschworene Gemeinschaft. Nach wenigen Tagen wusste ich, wo ich gelandet war. Es war die schlimmste von allen vierten Klassen, die, in der kein Lehrer unterrichten wollte. Wir waren 34 Schüler, der Großteil waren iranisch-deutsche Mischlinge, und alle waren wild. Unser Klassenlehrer war Herr Lies, ein schlanker, blonder, schlaksiger Hüne in hellen, sehr engen Jeans, den ich zwanzig Jahre später sicher sehr sexy gefunden hätte.
    Oft musste Herr Lies minutenlang laut schreien, damit ein wenig Ruhe einkehrte und er mit dem Unterricht anfangen konnte. Die Kinder benahmen sich zum Teil, als hätten sie Tollwut. Es gab ein Mädchen in der Klasse, Parissa, sie war der Klassenstar. Sie hatte lange, schwarze Locken, trug kitschige Kleider, die ich schrecklich peinlich fand, und redete immer kokett, flirtete eigentlich mit allen Lehren und natürlich mit den Mitschülern. Sie war die, in die alle Jungen offiziell verliebt waren, der alle Jungen in der Pause hinterherliefen. Dabei war sie nur ein langweiliges, ziemlich dummes Mädchen, das nichts konnte außer mit Babystimme blödes Zeug von sich zu geben, ständig an seinen schwarzen Locken drehte und sich superhübsch fühlte. Ich kannte es nicht, dass ein Mädchen beachtet wurde, nur weil es wie eine Puppe aussah. Puppe sein war doch doof. Dass überhaupt jemand wegen seiner Schönheit gelobt wurde, war befremdend für mich. Ich wurde in Deutschland ständig von deutschen Frauen wegen meiner großen dunklen Augen und meiner langen dichten Haare beneidet. Einige fragten mich devot, ob sie meine Haare anfassen dürften, fanden es aber okay, wenn ich »nein« rief und wegrannte. Meine Mutter hatte mir erzählt, dass die anderen deutschen Mütter früher immer in meinen Kinderwagen starrten und dann stammelten: »Unglaublich hübsch! Diese Augen.« Aber man belästigte mich nicht weiter. Jetzt war das anders. Tante Mahin sagte ununterbrochen Sachen wie: Sie würde sich gern opfern für meine dünnen, langen Beine, meinen kleinen Arsch oder sich als Märtyrerin hingeben, weil meine Haare so schön wären. Ich musste nur sagen: Durst, und sie flippte total aus und fing damit an, sie würde gern für mich in der Wüste verdursten oder so ähnlich, und während ich das Glas kalte Milch trank, bedauerte sie, dass ihre Brüste keine Milch für mich hätten. Meine Mutter hat es mir irgendwann übersetzt. Mir war vollkommen klar, dass die arme Mahin eine Schraube locker hatte.

    Ob mich alle hübsch fanden oder nicht, war mir egal, ich fand mich selbst ziemlich hübsch, das reichte, und das Getue nervte einfach nur. Aber ich wollte ganz gerne respektiert werden, weil ich cool war oder irgendetwas besser konnte als die anderen, aber nicht angehimmelt wegen meiner Haare und Augen. Das war peinlich und brachte mich nicht weiter.
    Um die Spiele der Jungs zu spielen, hatte ich mich in Deutschland ziemlich anstrengen müssen. Mädchenspiele kannte ich nicht, weil immer Jungs dabei waren. Auch wenn wir unter uns Mädchen spielen wollten, kamen die Jungs dazu, es wurde schnell wild, und einer lief blutend davon. Es ging darum, ob man stark und tapfer war oder schnell rennen konnte, nicht darum, hübsch zu sein.
    In meiner neuen Klasse saßen die Mädchen und die Jungs zwar zusammen, aber gemeinsam gespielt wurde nicht. Die Mädchen waren nur darauf bedacht, von den Jungs beachtet und geärgert zu werden. Ich wusste nicht, wozu dieses peinliche Theater gut sein sollte. Ich langweilte mich, auch deshalb, weil fast alle Kinder, mit Ausnahme der Deutschen natürlich, in den Pausen nur Persisch sprachen. Das nervte mich. Wozu war ich auf einer deutschen Schule, wenn fast keines der Kinder Deutsch sprechen wollte?
    Wir hatten nur sechs Stunden in der Woche Persischunterricht, an dem alle, die einen iranischen Vater hatten, teilnehmen mussten, das war von der iranischen Regierung so festgelegt. Die Deutschen hatten dann eine Freistunde und konnten in der Sonne sitzen, Eis essen oder spielen. Iranische Kinder wie ich, die ohne Persischkenntnisse aus Deutschland kamen, mussten zwar im Persischunterricht dabei sein, aber nur, um zuzuhören. Ich hatte eine sogenannte »Frist«, um mich auf das Niveau der anderen zu bringen. Wenn mich Herr Tehrani drannehmen wollte, schrien die anderen Kinder: »Nein, die ist doch ein Fristi!«
    Ich war also ein Fristi und musste zusehen, diese komische Sprache mit den vielen verwirrenden Schriftzeichen,

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