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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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glauben.
    »Die Sanike haben sich Ghormeh Sabzi mitgebracht!« Golnaz war ein kleines, schmales, busenloses Mädchen mit langen braunen Locken, großen braunen Augen und einer festsitzenden Metallzahnspange.
    Bita schlich ein Stück in den Vorraum hinein.
    »Die haben es dort aufgewärmt.« Sie hielt sich die Nase zu. »Geh mal rein, wie es dort stinkt!«
    Ich machte Kotzgeräusche, und wir liefen schnell die Treppe nach unten auf den Schulhof.

    Draußen waren überall mittelblaue Kittel und neue, uninteressante Gesichter mit biederen Kraushaar-Frisuren. Ich hasste Kraushaar, was aber die meisten Perser hatten. Mein Vater hatte es, meine Oma, meine Tante und meine stinkende Cousine. Ich hatte bis jetzt dieselben glatten, schweren Haare meiner Mutter, aber sie begannen sich immer mehr zu locken, was noch toll aussah. Aber ich war besorgt, dass bald aus den großen, schweren Locken eine Krause werden würde. Wir setzten uns auf die Treppe hinter der Hauptvilla, wo die Sonne schien. Die Treppe, auf der ich schon so viele Pausen und Freistunden verbracht hatte, die Treppe, auf der Armin und ich uns über Filme und Turnschuhe unterhalten hatten. Meine Treppe. Wir trugen alle Jeans unter den offenen Mänteln. Ich zog in der Sonne den Mantel aus, damit man mein Shirt sehen konnte, und mit meinen weinroten Lederballerinas an den nackten Füßen fühlte ich mich schon wieder fast wie ein normaler Mensch.
    Die anderen holten ihre Sandwichs raus. Ich hatte wie immer keins, bei der Stimmung heute Morgen hätte ich mir in der Küche auch kein Brot schmieren können.
    »Ich weiß nicht, wen ich jetzt am meisten hassen soll«, sagte ich und glotzte auf Golnaz’ gigantische Barbari-Schnitte, die sie aus einem Papierfetzen wickelte »Meine Mutter, meinen Vater, die bescheuerte Lehrer-Kuh eben oder Chomeini, der uns den ganzen Scheiß eingebrockt hat. Oder den Schah, weil er sich einfach verpisst hat. Warum muss denn alles geändert werden, nur weil Chomeini jetzt hier rumspinnt? Aber meine Eltern waren auch schon vor Chomeini scheiße … Was ist da drauf?«
    »Mortadella«, sagte Golnaz mit vollem Mund.
    »Mortadella gibt’s doch gar nicht mehr. Sogar Wurst ist verboten! Arzuman hat doch zugemacht und ist geflohen. Die Arschlöcher haben doch seine ganzen Schweine angezündet, damit die verbrennen! Die armen süßen rosa Schweine … alle verbrannt.«
    »Es gibt Wurst, nur eben ohne Schweinefleisch«, sagte Bita leicht genervt. »Und sag nichts gegen den Schah! Meine Eltern und ich lieben den Schah. Ohne ihn wären wir nicht so weit gekommen!
    »Weit gekommen … pfft«, schnaubte ich verächtlich. »So weit, dass sogar die Mortadella scheiße ist. Nichts schmeckt hier … als ob Perser wüssten, wie man Wurst macht.«
    Ich verzog das Gesicht. »Perser wissen gar nichts und können auch einfach nichts«, nölte ich.
    »Also, du bist ja auch Perserin … Und wir essen die Wurst gern. Wir essen sowieso kein Schweinefleisch. Wieso, esst ihr etwa Schwein? Iih.« Bita sah mich verständnislos an.
    »Ja, von Arzuman immer.«
    »Was ist überhaupt Arzuman?«, fragte Golnaz.
    Ich verdrehte die Augen.
    »Ach, ihr seid doch auch scheiße und habt von nichts ’ne Ahnung. Arzuman war eine riesige Wursthandlung! Die muss man doch kennen! Sah genauso aus wie eine Metzgerei in Deutschland. Mit Kacheln und Wursttheke und so. Ziemlich weit unten in der Stadt, um die Ecke vom Geschäft meines Opas. Mama und ich sind da immer hingefahren und haben Bierschinken, Leberwurst und Bratwürste gekauft, alles superlecker … aber die haben zugemacht.«
    Mir wurde heiß in der Septembersonne, ich krempelte die Ärmel meines Shirts hoch und streichelte meine nackten braunen Oberarme. Weil mich die Sonne blendete, kramte ich in meinen Manteltaschen nach meiner Sonnenbrille. Als ich sie aufsetzen wollte, sagte jemand zu mir:
    »Dochtaram, rupuschet kojast?« (Mein Mädchen, wo ist dein Kittel?)
    Vor uns stand eine alte Frau in einem langen schwarzen Mantel und einem schwarzen Kopftuch, nach islamischer Vorschrift so gebunden, dass man kein einziges Haar sehen konnte. Sie hatte ein blasses Gesicht und eine Hakennase.
    Sie fragte noch einmal, wo mein Kittel sei.
    Ich zog den zerknüllten mittelblauen Stoff unter meinem Hintern hervor.
    »Zieh bitte deinen Kittel an.« Hilfe, wo kam die denn jetzt her?
    Ich zog mit angekotztem Gesicht das blaue Ding an.
    »Bitte zuknöpfen. Und wo sind eure Kopftücher?«
    »Im Klassenzimmer«, sagte Bita schnell.
    »Die bindet

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