Hinter dem Mond
ich Angst hatte, dass wir zu früh zurückreisen würden und ich die Platte erst ein Jahr später in meinem Kassetten-Shop neben der Naan-Bäckerei würde kaufen können, wenn überhaupt. Aber ich hatte Glück! Die neue Platte war noch großartiger als »Rumours«, fand ich, was aber auch daran liegen konnte, dass ich mich an »Rumours« überhört hatte. Und nun, als ich zwischen meinen beiden Lieblingsblaus, dem Poolwasser und dem perfekten dunkelblauen Teheraner Himmel, lag und nur meinen dunkelbraunen glatten Bauch und meine noch brauneren Knie sehen konnte, dahinter ein paar hässliche Strommasten, hatte Stevie Nicks Stimme etwas unglaublich Beruhigendes für mich. Kein Kopftuch und kein einziger Mullah dieser Welt hatte so viel Macht, dass mich diese Musik nicht doch sofort richtig glücklich machen konnte. Die Band ließ die ganzen Außerirdischen wenigstens für kurze Zeit zu lächerlichen Playmobil-Figuren werden. Man konnte sie einfach in eine Schachtel packen, den Deckel schließen, und alles war wieder schön. Wenn ich die Augen etwas weiter öffnete, sah ich noch ein paar von den typisch schmutzig-cremefarbenen Flachdächern der Häuser im Norden der Stadt mit ihren Satellitenschüsseln und den rostigen Cooler-Kästen.
Ich schloss die Augen wieder etwas mehr, um mich besser wegbeamen zu können und mich ganz auf das schöne Getrommel von »Tusk« zu konzentrieren.
Wir hatten jetzt jeden Tag eine Stunde länger Unterricht als zuvor, bis um zwei. Deshalb hielten ja die Pinguine ihre Kochtopf-Partys in der Schule ab, was mich wahnsinnig nervte. Ich erzählte Sonja davon.
»Hast du noch die Stinkbomben?« Sonja grinste und wedelte mit ihrer Nagelfeile.
Ich sah sie verzückt an. In meinem Kopf bildete sich soeben ein wundervoller Regenbogen, Schmetterlinge flatterten und kleine Häschen spielten auf einer grünen Wiese.
»Ja«, hauchte ich. Dann glättete sich mein in Sorgenfalten gelegtes Gesicht, und ich grinste zurück, so breit und glücklich, wie ich seit dem Urlaub am Kaspischen Meer nicht mehr gegrinst hatte.
Natürlich hatte ich noch die Stinkbomben von dem lustigen Einkauf in dem Scherzartikelladen in London.
Am nächsten Tag konnte ich es kaum erwarten, bis endlich große Pause war. Ich hatte Bita, Pari und Golli von meinem Vorhaben erzählt. Sie nahmen es mir nicht ab, dass ich das wirklich tun würde.
»Und was ist, wenn sie dich erwischen? Dann fliegst du raus!« Bita sollte mal nicht so spießig sein. Sie vögelte die ganze Zeit mit ihrem Amir. Das war schlimmer als eine kleine Stinkbombe.
»Umso besser! Ich lerne hier doch sowieso nichts.«
Nach dem Klingeln wartete ich in der Klasse, bis alle draußen waren, damit mich keine Mitschülerin sehen konnte. Die anderen warteten mit mir, sie wollten es nicht verpassen. Vor dem Lehrerzimmer ging es heute besonders hysterisch und aufgeregt zu. Und es roch besonders penetrant. Nach Asch! Deshalb waren die alle so aufgeregt. Das erste Asch-Essen nach dem heißen Sommer ist immer ein Erlebnis.
Asch ist eine dicke, grünbraune Suppe aus vielen verschiedenen Kräutern, grünem Lauch, Reisnudeln, verschiedenen Hülsenfrüchten und einer Garnierung aus in Öl gebratenem Knoblauch, Dill und Zwiebeln. Ich mochte Asch sogar ganz gern, aber nur, wenn es meine Mutter oder Maman kochten. Die Angelegenheit war zu unübersichtlich, und es gab zu viele Möglichkeiten, Ekliges unerkannt in die Speise zu schmuggeln. Wenn meine Mutter Asch kochte, dann immer gleich einen Riesentopf, weil Asch bei jedem Aufwärmen besser wurde. Aber es roch unglaublich intensiv, und man musste davon rülpsen und pupsen. Ein Asch-Essen war immer etwas Besonderes, so etwa, wie in Westfalen Grünkohleintopf zelebriert wird.
Ich spazierte gemütlich am Lehrerzimmer vorbei, schmiss die kleine Glaskapsel rein und trottete unbeteiligt und langsam weiter.
Fünf Sekunden später hörten wir drinnen einen spitzen Schrei, dann einen zweiten ebenso spitzen Schrei, dann sehr viele Schreie und Rufe, und schon rannten die ersten Pinguine aus dem Vorzimmer, übertrieben laut schreiend und sogar um Hilfe rufend. Ich stand unten auf dem Treppenabsatz und sah erstaunt, wie immer mehr Kopftücher aus der Tür herausrannten. Unglaublich, wie viele Lehrerinnen sich da hinein gequetscht hatten. Jetzt rannten sie alle in Panik heraus.
Bald war der Flur dichtbevölkert von schreienden Pinguinen, im Lehrerzimmer blieb der Asch-Topf ganz allein zurück. Und sie hörten nicht auf, panisch laut
Weitere Kostenlose Bücher