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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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oder in den Puff? Du siehst aus wie vom Strich! Zieh dir eine andere Jeans an, dein Arsch platzt gleich aus der Hose, und was ist das für ein T-Shirt? Da steht Polizei drauf! Damit kannst du nicht in diese Schule gehen! Die werden dich verhaften und auspeitschen … los, wasch dein Gesicht … und zieh dir etwas anderes an! Und knöpf deinen Mantel zu …«
    Die Keifstimme am Morgen gab mir den nötigen Kick, um das Haus überhaupt verlassen zu können. Unten hupte der Bus, ich rannte schnell die Treppen hinunter, aber sie schrie mir noch von oben hinterher:
    »Ich hole dich nicht nachher vom Komitee ab … mach, was du willst …«
    Ich dachte »Halt doch einfach die Klappe, du blöde Nutte!« und stieg in den Bus. Lauter unbekannte Kinder, die Mädchen mit zugeknöpften Kitteln und die Kopftücher um den Hals gebunden wie Tick, Trick und Track bei den Pfadfindern. Ich ließ mich auf eine freie Bank fallen und ballte beide Fäuste vor Wut. Immer, wenn alles ganz schlimm war, schaffte meine Mutter es, noch einen draufzusetzen. Ich hasste sie immer mehr und konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als endlich von den beiden wegzukommen. Weit, weit weg!
    Unsere Schule war nicht wiederzuerkennen. Die Außerirdischen waren in ihren Raumschiffen hier gelandet und hatten sie komplett besetzt. Es sollte eigentlich so etwas wie eine Sammelstelle für arme Schweine wie mich sein, die nicht die nötigen Kontakte in Deutschland hatten und jetzt unter diesen Umständen weiterleben mussten. Hier sollten sich alle diejenigen treffen, die vorher auf einer Auslandsschule waren und aufgrund schwacher Persischkenntnisse etwas gefördert werden mussten. Aber es waren jetzt auch ganz normale persische Mittelschichtkinder dabei, die Persisch sprachen, so aussahen und sich so benahmen. Eine ganz andere Welt. Wir von der DST passten da überhaupt nicht hinein und waren vollkommen verschüchtert. Von Förderung konnte keine Rede sein. Ich war mal wieder in eine Falle gelockt worden.
    Unsere außerirdischen Besatzer sahen aus wie Pinguine in traurigen, wadenlangen Mänteln aus schlechter Baumwolle und mit hässlichen Kopftüchern. Die vielen neuen, hysterischen Schülerinnen und meine kleine Vertriebenenguppe wurden jetzt von einer Masse dieser Pinguine beherrscht. Ich fragte mich, wieso die Schülerinnen alle so hysterisch waren, dann fiel mir ein, dass alle persischen Weiber hysterisch waren und das eben junge persische Weiber waren. Die Mädchen waren der reinste Horror. Sie waren laut, ordinär und von einer mir fremden Frechheit. Und sie gingen unachtsam mit unserer Schule um. Sie hatten keine Erziehung und keine Selbstachtung, sie waren wie wilde Tiere, die sich aber brav das Kopftuch umknoten konnten. Mir wurde jetzt erst bewusst, was für eine schöne Schule wir eigentlich hatten, jetzt, wo die Hässlichkeit eingezogen war und einen tragischen Bruch zu der ehemals hochklassigen Gepflegtheit unserer Schule bildete. Der untere Teil der Schule war nach wie vor für Jungs, die jetzt von anderen Außerirdischen in Gestalt von bärtigen Männern unterrichtet wurden. Die Jungs sahen aus wie immer, trugen Jeans und T-Shirts und hatten nackte Unterarme, was niemanden störte. Wieso durften die aussehen wie ganz normale Jungs auf der ganzen Welt und wir mussten uns als Monster verkleiden?
    Es tat mir regelrecht weh, mit anzusehen, wie sich die neuen Bewohner unserer Schule in unseren hübschen Klassenräumen mit den grünen Aufklapptafeln und den anatomisch korrekten Tischen und Stühlen aus dem glatten hellbraunen Holz breitmachten, als würde alles ihnen gehören. Das war unser Eigentum, unsere Eltern hatten diese Sachen bezahlt, die die Bundesregierung mit Hilfe deutscher Monteure für uns hergeschafft hatte. Die Monteure, die nur deshalb angereist waren, damit alles fachgerecht und perfekt aussah und nicht von einem Haufen persischer Analphabeten zusammengeschlonzt und die Klassenräume irgendwann unter uns zusammenkrachen würden.
    Ich saß also mit 34 Perserinnen in mittelblauen Mänteln in der Klasse. Alle außer uns DST-Mädchen hatten ihre Mäntel brav zugeknöpft und die Kopftücher um den Hals gebunden, wie die Schulvorschrift es wollte. Wir hingegen trugen unsere Mäntel offen, die Ärmel weit hochgekrempelt, und versuchten, so zu tun, als hätten wir gar keinen Mantel an.
    Mein Kopftuch ließ ich immer zu Hause. Es war entwürdigend. Ich konnte mir das dämliche Kopftuch sowieso nicht um den Hals knoten, es ging einfach nicht,

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