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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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Hause fahren. Ich tat ihr natürlich wahnsinnig leid, aber sie konnte es einfach nicht zeigen. Sie war selbst total sauer und verzweifelt über alles, was um uns und mit uns geschah, vor allem auf das Regime und auf die Leute, die den Quatsch mitmachten, weil sie zu verrückt und zu feige waren, um sich aufzulehnen. Sie war genervt von den neuen Regeln, den vielen Verboten, die das Leben schnell lebensgefährlich machten, und den komischen Gesetzen, von denen es jeden Tag neue gab. Es konnte jederzeit einer der Nachbarn die verbotene Bierbrauerei meines Vaters im Keller entdecken und an das Komitee verpfeifen, und dann würden Pasdaran in unsere Wohnung stürmen und meine Videosammlung, die ganzen Magazine mit halbnackten Frauen, und die Schnapsbar sowie literweise frisch gegorenes Bier finden. Das konnte zu einer saftigen Geldstrafe, zu Peitschenhieben, Folter oder auch zu der Hinrichtung meiner Eltern führen. Man wusste es nicht genau, aber es war alles drin, je nach Laune. Man hatte die ganze Zeit Angst aufzufliegen, denn jeden Tag wurde mehr verboten, und durch die vielen Verbote war jeder kriminell. Aber meine Eltern ließen beide ihren Ärger und ihren Stress an mir aus, anstatt zu mir zu halten und mir in meiner beschissenen Situation, an der sie ja schuld waren, etwas Mut zu machen.

9
    A lle Schulen hatten jedes Jahr exakt dieselben Sommerferien, vom 21. Juni bis zum 21. September. Nur bei uns auf der DST ging es immer früher wieder los. Aber an diesem Morgen des 21. Septembers 1980 stieg ich gleichzeitig mit Millionen anderen persischen Schulkindern in den Bus. Ich war wohl die Einzige, die es mit weit vorgeschobener Unterlippe und tiefer Zornesfalte zwischen den Augenbrauen tat. Unsere Schule war mitsamt dem gelben Fuhrpark verstaatlicht worden, und die Aufschrift Deutsche Schule Teheran war mit gelber Farbe übermalt worden. Die übermalte Farbe traf natürlich nicht den alten Farbton, sie war viel zu hell, und man konnte die Beschriftung aus der Nähe durchschimmern sehen. Ich wunderte mich, dass sich jemand überhaupt so viel Mühe gemacht hatte, nach gelber Farbe zu suchen. Mich hätte es nicht gewundert, wenn es grüne, graue oder braune Farbe oder eben, was gerade zur Hand war, gewesen wäre. Oder wenn man einfach die Aufschrift abgekratzt hätte. Persern war sowieso ziemlich egal, wie etwas aussah, aber seit der Revolution gab es überhaupt keine Hemmschwellen mehr. Wenn ein schwarzes Auto eine neue Tür brauchte, und es war keine schwarze aufzutreiben, bekam es eben eine braune. Hauptsache, Tür. Alles, was mich bisher gestört hatte, weil es ungepflegt und geschmacklos aussah, also eigentlich ganz Teheran, hatte sich verschlimmert und sah jetzt noch beschissener aus. Es ging nur noch darum, das Leben irgendwie am Funktionieren zu halten. Um guten Geschmack machte sich niemand mehr Gedanken. Auch meine Eltern nicht. Als unser großer Lüster im Flur durchbrannte, war meine Mutter froh, als sie endlich passende Glühbirnen fand. Mein Gemecker, die Lampen hätten jetzt ein grausliches, kaltes Licht, interessierte niemand. Ich drehte dann immer heimlich ein paar der Birnen locker, und mein Vater flippte aus, weil er es hell liebte. Ich fand übertriebenes Kunstlicht unerträglich. In Hausmeisterwohnungen und auch sonst in den Behausungen der einfachen Bevölkerung in Süd-Teheran baumelte oft eine einzelne grelle Glühbirne von der Decke. Genau so ein Licht brannte jetzt in unserer hohen Empfangshalle und gab mir ein Gefühl von Armut und Slumleben.
    Der Morgen des 21. Septembers fing schon grauenvoll an. Um nicht wie eine Raumpflegerin auszusehen, wie meine Mutter gesagt hatte, war ich am Abend zuvor mit frisch gewaschenen, noch feuchten Haaren ins Bett gegangen, jetzt fielen sie mir in großen glänzenden Locken auf den Rücken.
    »Bind dir die Haare zusammen!«, keifte meine Mutter im Nachthemd.
    Ich ignorierte sie und malte mir stattdessen die Augen mit Kajal schwarz, tuschte mir die Wimpern mehrmals, steckte mir meine großen goldenen Kreolen in die Ohren, überrollte meine Lippen mit dem krassen roten Erdbeergloss und zupfte mir mit Schmollmund die schwarzen Locken ins Gesicht. Mein T-Shirt war mal weit und weiß gewesen, mit blauer Schrift stand The Police drauf. Aber meine Mutter hatte es verwaschen, und jetzt war es rosa und eng, was ich viel cooler fand. Das Allercoolste war, dass die Schrift exakt dasselbe Blau hatte wie mein blöder Kittel.
    »Wie siehst du denn aus! Gehst du zur Schule

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