Hinter dem Mond
ihr bitte um.«
»Was geht Sie das an?«, fuhr ich sie an. »Laufen Sie hier rum, nur um zu sehen, wer was anhat?«
Sie war kurz schockiert, fasste sich aber schnell wieder.
»Ich heiße Chanum Fourouzan und bin eure Erzieherin. Ich passe auf euch auf, damit ihr euch gut fühlt und ein gutes Benehmen lernt.«
»Was hat gutes Benehmen mit dem dreckigen Mantel zu tun? Und mit dem Kopftuch? Sehen Leute mit gutem Benehmen aus wie Putzfrauen?«
Sie ging nicht weiter darauf ein und wiederholte nur, wir sollten die Mäntel zuknöpfen und in Zukunft unsere Kopftücher nicht vergessen. Dann schlich sie gebeugt von dannen.
Ich zog mir den Mantel wieder von den Schultern, nur um etwas zu tun. Ich war jetzt so aggressiv, dass ich ihr am liebsten hinterhergerannt wäre und mich auf sie gestürzt hätte.
Nach der Schule rief ich sofort Sonja an, die immer noch darauf wartete, dass Dee und ihr Vater sich einigten, wo Dee mit den Kindern bleiben sollte. Außerdem hatte Bijan noch keinen amerikanischen Pass und konnte nicht ausreisen. Es gab kein amerikanisches Konsulat mehr.
»Ich halt das nicht aus. Ich bring mich um«, schloss ich meinen Bericht.
»Komm doch morgen nach der Schule gleich zu mir, Dee ist jeden Tag stundenlang auf Konsulaten. Ich muss babysitten …, ist das furchtbar. Du Arme …«
Am nächsten Nachmittag lagen wir an Sonjas neuem, rundem Swimmingpool. Ihr Vater hatte gerade ein pompöses Haus in der Nähe der Deutschen Buchhandlung gekauft, und sie waren erst vor einer Woche umgezogen. Es sah aus wie ein französisches Schloss, mit einer dieser geschwungenen Freitreppen. Sonja erzählte mir, dass sie Dee mit dem Gärtner erwischt hatte.
»Was? Ist doch Quatsch!« Ich hatte wirklich schon genug Probleme.
»Ich hab sie erwischt! Die treibt es mit Masud Agha!«
»Hast du das deinem Vater erzählt?«
»Bist du verrückt? Weißt du, was dann passiert? Die kommen beide in den Knast und werden gesteinigt!«
»Ja, mindestens. Oder gehängt.«
Mir war diese Info viel zu surreal, um mich weiter ernsthaft damit zu befassen, und außerdem war es mir auch egal, mit wem Erwachsene Geschlechtsverkehr hatten. Irgendwie fand ich es heimlich auch cool von ihr, sich als Ehefrau eines reichen persischen Geschäftsmannes von einem Hausangestellten bumsen zu lassen. Das war schon gewaltig. Mehr Gesichtsverlust konnte man seinem Mann in diesem Land nicht antun. Das hatte nichts mit den Mullahs zu tun, das wäre auch unter dem Schah eine unaussprechliche Katastrophe gewesen. Unaussprechlich war der richtige Ausdruck. Das war Aberu -Verlust der obersten Kategorie. Aber Dee war Amerikanerin und hatte offensichtlich kein Klassenempfinden. Das war eine von den Geschichten, die ich weder meiner Mutter noch sonst wem je erzählt hätte. Meine Mutter schenkte unserem Gärtner und den Hausangestellten nicht einmal ein Lächeln, sie lächelte überhaupt nie Angestellte an. Sie sagte, iranische Männer würden ein Lächeln sowieso sofort als Aufforderung zum Sex missverstehen, aber Dienstboten anzulächeln wäre vollkommen undenkbar. Ich musste ihr recht geben. Männern durfte man auf der Straße wirklich noch nicht einmal ins Gesicht sehen. Und man verpasste bei den Typen, die auf der Straße rumliefen, auch nichts, ganz im Gegenteil.
Ich hatte mich nach dem Unterricht heimlich weggeschlichen und auf der Straße ein oranges Taxi angehalten, um herzufahren. Mitten in meiner düsteren Berichterstattung über den zweiten Schultag wurde mal wieder der Strom abgestellt. Das passierte in den letzten Wochen täglich, ohne Ankündigung. Ohne Air-Condition wurde es drinnen auch Ende September in der Mittagszeit zu warm, also nahmen wir den Kassettenrekorder, Batterien, unsere Bananenshakes und gingen runter an den Pool. Hinten im Garten sah ich einen fremden Mann Büsche wegtragen.
»Ist er das?«
»Ja! Das ist Masud Agha.« Sonja kicherte.
»Von dem lässt sich sie sich? Der ist doch eklig!«
»Findet sie nicht. Ich hab sie in der Küche erwischt.«
»Und was hat sie gesagt?«
»Sie tut so, als wäre nix! Jendeh!«
Ich lachte gehässig. Geschah dem Vater recht, dass seine Frau so eine Jendeh (Nutte) war.
Ich drehte lauter, um in »Tusk« richtig schön einzutauchen. Ich war in dem Sommer zuvor von London aus ein paar Tage nach Paris geflogen und hatte dort ein gigantisches weißes Plakat gesehen, auf dem in Riesenbuchstaben »Tusk« stand. Und darunter, etwas kleiner: »is coming!«
Das hatte mich sofort nervös gemacht, weil
Weitere Kostenlose Bücher