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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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Geschlechtsmerkmalen hatten wir im Sexualkundeunterricht durchgenommen. Und ich war das letzte Jahr ziemlich gewachsen und aus fast allen meinen Sachen herausgewachsen. Meine Hosen waren alle etwas zu kurz, genau wie meine Kleider und Röcke. Der einzige Rock, der mir noch passte, und den ich noch gerne trug, war ein verwaschener Jeans-Mini, auf den mir meine Mutter auf mein Gebettel hin das Victory-Zeichen als amerikanische Flagge genäht hatte. In diesem Rock trottete ich einmal mit nackten dünnen Beinen in Sandalen und dem Ranzen über eine Schulter geworfen unsere Straße nach der Schule entlang. Da spürte ich plötzlich eine große Hand unter meinem Rock auf meinem Hintern. Ich hatte eine blauweiß geringelte Frottee-Unterhose darunter an, die fremde Hand hatte sich so richtig in den Stoff hineingekrallt, und eine Männerstimme sagte hinter mir:»Man bochoram ino?« Was so viel heißt wie: Soll ich das essen? Ich wusste überhaupt nicht, was er damit meinte, und hatte gerade realisiert, was hier los war, da war die Hand auch schon wieder weg, und ein Soldat in grüner Uniform und schweren Stiefeln lief an mir vorbei, drehte sich noch einmal um, grinste mich an und lief entspannt weiter. Ich blieb stehen, geschockt und fassungslos. Dass mir ein erwachsener Mann von hinten an die Unterhose gegangen war und meinen kleinen Arsch in der Hand hatte, war ja schon schlimm genug, aber was den Schreck darüber toppte, war die Tatsache, dass es sich um einen Soldaten in Uniform handelte. Für mich waren Menschen in Uniform offiziell und vertrauenswürdig, das waren Menschen, denen man sich anvertrauen konnte, die sich nichts zuschulden kommen ließen. Ein Soldat kam für mich genauso seriös rüber wie ein Polizist. Und wie konnte der so etwas tun und mich dann noch frech anlachen? Ich rannte nach Hause so schnell ich konnte:
    »Mamaaaa! Ein Soldat hat mir eben in der Straße von hinten untern Rock gegriffen!«
    Ich trampelte mit den Füßen auf der Stelle vor Aufregung.
    Meine Mutter riss die Augen auf. »Waaaaaas?«
    »Ja! Von hinten! Unter den Rock! Und es war ein Soldaaat!«
    Meine Mutter schüttelte angewidert den Kopf.
    »Mama, es war ein Soldat! Ein Soldat! In Grün! Das darf der doch nicht!«
    »Wieso darf der das nicht? Wer sagt das? Hier macht doch jeder alles, was er will, weil die Männer alle schmutzige Schweine sind. Aber ich habe dir gesagt, dein Rock ist zu kurz. Zieh diese kurzen Röcke nicht mehr an, sonst klauen sie dich noch, und dann werden wir dich nie wieder finden. Es werden sehr viele Mädchen auf der Straße geklaut.«
    Sie keifte schon wieder und sah mich drohend an. Ich war jetzt noch beunruhigter. Längere Röcke würde ich niemals anziehen. 1975 trug man kurze Röcke, wenn man zehn Jahre alt war. Passierte mir das noch mal, würde ich eben laut schreien.
    Da sich meine Mutter darüber nicht sonderlich aufregen konnte, wollte ich auch nicht zimperlich sein.

    Einige Zeit später, es war schon Oktober, stand ein Typ genau an der Ecke an dem Ende unserer Kutsche, dort wo ich mittags aus dem Bus stieg.
    Der Mann sah aus wie ein Arbeiter und hatte sein Geschlechtsteil in der Hand, wackelte damit herum und rief mir zu: »Ino bochor, ino bochor!« Was bedeutet: Iss das.
    Mein Entsetzen war grenzenlos, ich rannte so schnell ich konnte zu unserem blauen Eisentor, schloss die Tür auf und rannte die Treppen nach oben in unsere Wohnung.
    »Mama, Mama, Mama, Mama …«
    Ich wiederholte immer nur: »Mama, Mama, Mama, Mamaaaaa!«
    Meine Mutter kam aus dem Schlafzimmer und rief zurück: »MamaMama, was ist Mamamama?«
    »Mama!«
    Ich konnte es nicht aussprechen, ich brachte es nicht über die Lippen. Es ging einfach nicht.
    Wie sollte ich das, was ich gesehen hatte, aussprechen?
    »Was ist passiert, um Gottes willen«, keifte sie mich an. »Sag es! Was ist passiert?«
    Ich fing an zu heulen. »Da draußen steht einer und wackelt mit seinem Pimmel.«
    Zu meiner Überraschung fing meine Mutter an zu lachen. Sie winkte ab. »Ach, der tut dir nichts.«
    Ich sah sie an. War sie verrückt geworden? Wer sonst sollte mir etwas tun, wenn nicht der? Das waren doch die Gefahren, weswegen es als Mädchen verboten war, alleine auf der Straße zu sein, oder gab es noch Schlimmeres?
    Meine Mutter sah mich prüfend an. Ich trug ein blaues Kleid mit Puffärmeln, was mir viel zu kurz geworden war, und an den Füßen meine ehemals weißen Bally-Sandalen, die schon ziemlich fertig aussahen und auch etwas zu klein geworden

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