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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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war.
    »Jetzt lass uns doch mal nachsehen, was in dem Karton drinsteckt«, näselte Parvin belustigt.
    »Nein!«, schrie meine Mutter. »Da sind Löcher im Karton! Was denkt ihr, was darin ist? Irgendwelche Viecher!«
    »Aber Mama«, jammerte ich noch mal, »schau doch mal, was drin ist.«
    In dem Moment hatte jemand die rosa Nase voll von der lichtlosen Situation in dem beengten Behälter, und ein kleiner gelber Kopf mit großen Ohren bohrte sich durch den Kartondeckel und miaute uns alle laut und vorwurfsvoll an.
    Die beiden Mädchen fingen sofort verzückt zu schreien an. Andere Damen kamen neugierig dazu und klatschten begeistert in die Hände.
    »Süß! Entzückend! Wie niedlich! So klein!«
    »Gib ihn mir!«, riefen sie alle durcheinander. Eine hatte ihn schon herausgenommen und drückte ihn an ihre halbnackten Brüste.
    Ich stand da mit dem leeren Karton in den Händen und machte mein bestes Waisenkind-sucht-ein-Zuhause-Gesicht.
    »Den schmeißt du sofort raus. Und du kannst gerne mit ihm gehen! Sofort! Was soll das Theater? Ausgerechnet heute!«
    Meine Mutter war jetzt richtig sauer.
    Ich stellte mir vor, wie der Gelbe und ich zusammen alleine durch die Teheraner Straßen irrten und uns über die Grenze über die Türkei bis nach Deutschland durchschlugen. In Deutschland wurden wir von einer freundlichen Familie mit einem schönen Garten und einem gedeckten Kaffeetisch aufgenommen.
    Mittlerweile redeten die Frauen alle gleichzeitig auf meine Mutter ein.
    Sie schüttelte den Kopf und jammerte: »Sie bringt jeden Tag ein anderes Vieh mit. Ich hatte das Haus voller toten Küken …« Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu.
    »Komm, jetzt sei nicht so. Du hast eine so tolle, süße, kluge Tochter.«
    Faride zwinkerte mir zu.
    Meine Mutter schaute mich nur noch halb so angewidert und schon halb belustigt an und zischte: »Bring ihn in dein Zimmer. Wir besprechen das heute Abend.«
    Dann stöckelte sie mit den Damen zurück in den Salon.
    Ich ging mit meinem kleinen Tier in mein Zimmer und drückte ihn an mich. Du heißt Molly, flüsterte ich, Mister Molly, ganz genau, weil du ein Junge und so flauschig bist.
    Als meinVater wie immer sehr spät nach Hause kam, waren die Gäste meiner Mutter alle schon lange weg. Die Tische waren abgeräumt, und alle Fenster und Türen waren weit offen zum Lüften, und meine Mutter hatte sich aus dem rosa Ding geschält und sah in ihrem wallenden Hauskleid aus wie immer. Aber sie trug noch ihr Party-Make-up.
    Ich rannte meinem Vater entgegen. »Komm in mein Zimmer, ich zeig dir was.«
    Mr Molly saß laut schnurrend auf meinem Bett und sah uns mit seinen großen bernsteinfarbenen Katzenkindkulleraugen an. Als mein Vater sah, was ich ihm zeigen wollte, lächelte er plötzlich so, wie ich ihn schon lange nicht mehr hatte lächeln sehen. Er streichelte über den kleinen Katzenkopf und sagte nur: »Der ist gut. Der kann doch hier bei uns wohnen.«
    Meine Mutter merkte, dass etwas nicht stimmte, weil es so still blieb. Sie hatte wohl etwas anderes erwartet. Sie kam in mein Zimmer, sah die Idylle auf meinem Bett und fing an zu schreien, sie wolle kein Tier, keinen Dreck, keine Katze, Tiere stinken und all die Dinge, die Mütter eben so schreien, wenn sie kein Tier wollen.
    Aber mein Vater wiederholte: »Er kann hier bei uns wohnen. Mit uns. Du hast damit nichts zu tun. Sie wird sich selbst um alles kümmern.«
    Ich hatte gewonnen.

    Die Brutalitäten in unserer Klasse wurden immer schlimmer. Wir hatten uns da irgendwie hineingesteigert und einfach alle Hemmungen verloren. Es war ganz normal, dass wir uns in der kleinen Pause mit Tischen und Stühlen bewarfen, weil es sich nicht lohnte, in den fünf Minuten draußen ein größeres Handgemenge anzufangen. Manchmal schlugen sich die Jungs auch mit Brettern, die sich von den Möbeln losgelöst hatten. Unsere Klassenlehrerin, Frau Schimmek, war vollkommen machtlos. Wir hatten auch relativ wenig Respekt vor ihr, sie zahlte es uns mit schlechten Benotungen der Schulaufgaben heim. Aber sie unterrichtete Deutsch und Sachkunde, zwei Fächer, in denen ich total fit war, und sie konnte mich nur warnen und mir drohen. Meine Aufsätze waren immer noch die besten. Unter den ganzen Sitzenbleibern gab es keine Konkurrenz für mich. Und was in Sachkunde unterrichtet wurde, wusste ich alles schon aus meinen »Was ist was«-Büchern. Frau Schimmek mochte mich nicht. An einem Tag sollte jedes Kind aufstehen und den anderen sagen, was es einmal für einen

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