Hinter dem Mond
in der Schule gegessen?«
Sie schaute mich prüfend an, ob man mir eine Tüte fettiger iranischer Chips oder einen genauso fettigen Donut vom Kiosk ansah.
»Mama …«
»Ja! Was ist? MamaMama.« Sie äffte mich nach.
Ich fasste mir ein Herz und versuchte, unbeteiligt zu klingen.
»Mama, wenn ein Kind einem anderen Kind aus Versehen die Brille kaputt macht, müssen es dann die Eltern von dem einen Kind bezahlen?«
Meine Mutter sah mich verwundert an. Dann grinste sie böse:
»Bist du das eine Kind? Wem hast du die Brille kaputt gemacht?«
Ich riss die Augen auf und schüttelte den Kopf.
»Nein, ein Kind aus der Klasse hat das gemacht.«
»Ich schätze schon. Aber warum interessierst du dich dafür? Hast du Hausaufgaben?«
»Nein.«
»Was habt ihr heute in der Schule gemacht?«
»Nichts.«
»Das sagst du immer! Nichts gemacht und keine Hausaufgaben! Was für eine Schule! Unsere Schulzeit war anders.«
Das stimmte. Sie fragte mich jeden Tag, was wir in der Schule gemacht hatten und was ich für Hausaufgaben hatte. Und ich sagte immer »nichts«, denn ich machte grundsätzlich nie Hausaufgaben. Ich kam überhaupt nicht auf die Idee, Hausaufgaben zu machen. Schlimm genug, dass ich jeden Tag in den Unterricht musste, mehr konnte man von mir nicht verlangen. Wenn der Lehrer unsere Aufgaben sehen wollte, zeigte ich meistens entweder etwas anderes in meinem Heft, oder ich hatte es eben vergessen. Aber meistens musste nur einer seine Aufgaben vorlesen, der sich dafür meldete. Und über den Unterricht zu sprechen, hatte ich nun wirklich überhaupt keine Lust. Aber ich erzählte ihr jeden Tag gern und ausführlich, was außerhalb des Unterrichts los war.
Sie stand auf, um sich hinzulegen.
Ich blieb beunruhigt auf meinem Stuhl sitzen. Frau Schimmek hatte mich schlimm angeschrien. So eine Brille kostete bestimmt sehr viel Geld. Meine Eltern würden also in Kürze total ausflippen. Dabei war es gerade so schön friedlich. Ich ging in mein Zimmer, machte den Fernseher an und dachte nach.
Am nächsten Tag ging ich wieder zu Jens. Er trug eine andere, komische Brille, die irgendwie zu klein für sein Gesicht war. Er ging rückwärts, als ich auf ihn zuging, dann drehte er sich um und rannte weg. Ich rannte hinterher: »Bleib stehen, bleib sofort stehen!«
Dann rief ich noch: »Ich tu dir nichts!«
Jens blieb stehen und hatte wieder einen dunkelrosa Kopf. Ich sah ihm fest in die wasserblauen Augen und flüsterte: »Wenn deine Eltern wegen deiner Brille bei mir zu Hause anrufen, dann wird mit dir etwas ganz Fürchterliches passieren. Aber ich sage dir nicht, was.«
Etwas weiter weg hatten sich die Jungs mit langen Ästen von den alten Bäumen bewaffnet, schlugen sich damit gegenseitig und schrien dabei so laut wie eine ganze Viehherde.
Ich blickte bedeutungsvoll in ihre Richtung und dann wieder zu Jens.
»Etwas wirklich Schlimmes. Du bist selbst schuld, dass deine Brille kaputt ist.«
Dann schubste ich ihn noch und rannte zu den anderen.
Drei Tage verbrachte ich mit Herzklopfen in der Nähe des Telefons. Jedes Mal, wenn es klingelte, sprang ich auf und rannte schnell hin, bevor meine Mutter kam. Ich hatte schon geübt, mit verstellter Stimme zu sagen: »Guten Tag, jaja, nicht so schlimm, das kann ja mal passieren. Wir bezahlen diese Brille nicht. Ihr Sohn war sicher selbst schuld, denn unsere Tochter ist ein ganz liebes Mädchen.«
Gleichzeitig wurde ich von Frau Schimmek mit verschiedenen Drohungen eingeschüchtert. Von »Deine Eltern bekommen von mir einen Brief über dein Verhalten in der Klasse« bis »Du wirst schon sehen, was du davon hast«.
Aber es kam kein Anruf. Ich weiß bis heute nicht, was Jens seinen Eltern erzählt hat, sie haben jedenfalls nie angerufen, und meine Eltern mussten nie erfahren, was ich getan hatte.
Falls er diese Zeilen liest, möchte ich ihm nachträglich sagen: Es tut mir nicht leid. Er hätte mir einfach eine scheuern müssen, und die Angelegenheit wäre für alle sofort erledigt gewesen.
Einige Wochen später kam es zu einem Zwischenfall, der meine Begeisterung für Gewalt dämpfen sollte.
Wir waren in der Pause im Klassenzimmer. Andi, ein ziemlich dicker und schwerer Junge, hatte mich von hinten gepackt und hielt meine Arme auf dem Rücken fest. Dann bog er mich an den Armen nach hinten und hob mich mit meinem Fliegengewicht so weit hoch, dass meine Füße den Boden nicht mehr berührten. Ich schrie wie am Spieß, weil es natürlich in den Schultern und Armgelenken
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