Hinter dem Mond
mit dem Ellbogen auf und stand plötzlich in einer Menschenmenge, umwölkt von Zigarettenrauch und Parfümwolken, gemischt mit warmem Essensgeruch. Unsere Empfangshalle und der Salon waren voller Frauen, die sich alle irre chic gemacht hatten und sich mit gefüllten Tellern teils auf die Sessel und Sofas gesetzt hatten, teils im Stehen aßen und teils im Salon herumstanden, Zigaretten rauchten, langstielige Gläser in den Händen hielten und alle miteinander wahnsinnig viel redeten. Eine fremde, kleine Frau in weißer Bluse stand im Salon an unserem langen Esstisch, den wir nie benutzten, und schnitt dünne Scheiben von einem gigantischen Stück Fleisch und legte sie auf die Teller, die ihr mit rotlackierten Fingernägeln entgegengestreckt wurden. In der Küche rührten Massume Chanum und einige fremde Angestellten in großen Töpfen herum. Ich stand verdutzt in meiner ausgebeulten Cordhose, die mir etwas zu kurz geworden war, und einem dünn und breit gewaschenen Shirt, auf das »Don’t worry, be happy« aufgedruckt war, mit meinem Schulranzen auf dem Rücken und dem zerlöcherten Karton, aus dem man es leise scharren hörte, mitten im Raum und wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte.
Was war hier los?
Meine Mutter hatte mir einige Tage vorher gesagt, dass sie zu Ehren von ihrem und meines Vaters Eintritt in den Lions Club einen Ladies Lunch nur für die Ehefrauen geben würde, und dass ich mich gefälligst anständig frisieren und anziehen sollte. Ich fragte sie, was denn ein Lions Club sei, und die Antwort war so langweilig, dass ich alles andere auch wieder vergaß.
Das waren also die Frauen von diesem Lions Club, mit denen meine Mutter gerne »gesellschaftlich verkehren« wollte. So hatte sie das genannt.
Es war so laut und voll, dass meine Mutter mich gar nicht bemerkte, sondern zwischen den Frauen in einem rosa Jerseykleid mit ihren rosa Charles-Jourdan-Sandalen mit den geilen Plastikblumen und den langen rosa Bändern um ihre schlanken Waden geschnürt herumrannte.
Einige Weiber erblickten mich und winkten mich herbei, wahrscheinlich, damit ihre Kinder mit mir »gesellschaftlich verkehren« konnten.
Ich lief meiner Mutter kurz mit dem Karton in der Hand hinterher, bis sie mir auf Deutsch zuzischte: »Geh deine Hände waschen, kämm dir die Haare, zieh dir eine saubere Bluse an und komm etwas essen.«
Ich wollte mich gerade umdrehen, da rief sie mir noch hinterher: »Und schmeiß sofort den dreckigen Karton raus!«
Ich lächelte sie breit und verschwörerisch an: »Nee, ich muss dir zeigen, was drin ist.«
Meine Mutter streckte, während sie einer Rothaarigen mit sehr hochtoupierten Haaren in einem grünen Kostüm etwas Whisky einschenkte und Eiswürfel reichte, den linken Arm mit den drei breiten Goldreifen in Richtung Wohnungstür und rief: »Raus damit!«
»Aber du hast doch noch gar nicht gesehen, was drin ist«, jammerte ich laut.
Sie kam zu mir gestöckelt, packte mich hart am Arm und zog mich zur Wohnungstür. Ich jammerte immer wieder: »Aber du weißt gar nicht, was drin ist, aber du weißt doch noch gar nicht, was drin ist …!«
Sie zischte:»Ich will gar nicht wissen, was drin ist. Entweder du wirfst den Karton raus und kommst wieder, oder du gehst selbst auch. Ich will das hier nicht haben, egal, was es ist.«
Mittlerweile hatten mich ihre beiden besten Freundinnen gesehen und waren lachend zu uns gekommen. Sie sagten immer, ich wäre so klug und man könnte sich mit mir unterhalten wie mit einer Erwachsenen. Ich mochte die beiden auch, aber nur, weil sie so gut aussahen und immer superchic angezogen waren. Und weil sie lange dünne Zigaretten rauchten. Parvin hatte ein wunderschönes Gesicht und eine tolle Figur und sah noch mehr aus wie direkt aus der Vogue als Pouri. An dem Tag hatte sie ein dunkelblaues, rückenfreies Seidentop an, was sie im Nacken gebunden hatte, und eine weiße Hose mit breiter Taille, die unten weit über ihre Plateausandalen fiel. Auch sie war immer perfekt geschminkt und frisiert. Faride war erst Anfang zwanzig und noch nicht verheiratet. Aber sie hatte einen sehr reichen Vater, so reich, dass sie angeblich deshalb keinen Mann fand. Beide sprachen wegen ihrer operierten Nasen etwas näselnd, waren aber immer sehr lustig und redeten auch fröhlich weiter, wenn meine Mutter verzweifelt: »Psst! Psst!« rief und warnend in meine Richtung schaute, weil das Gesprächsthema um Sex, Schwangerschaft und Entjungferung kreiste und für meine Ohren nicht geeignet
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