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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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Beruf ausüben wollte und warum. Die meisten wollten Arzt werden, wie ihr Vater, oder etwas Blödes wie Ingenieur oder Astronaut.
    Die Mädchen nannten zum Teil sogar Berufe wie Lehrerin oder Sekretärin oder Stewardess.
    Lieber wollte ich sterben, als eine dumme Sekretärin zu werden.
    Ich stand auf und sagte einfach: »Ich will berühmt werden.«
    Frau Schimmek war eine unscheinbare deutsche Frau Anfang dreißig und konnte mit so viel Großspurigkeit einer Zehnjährigen wenig anfangen. Sie sagte etwas ungeduldig: »Berühmt ist kein Beruf. Womit willst du denn berühmt werden?«
    »Eine berühmte Schriftstellerin«, antwortete ich hoheitsvoll. Die anderen waren ganz still, als ich mich zur Klasse umdrehte.
    »Du kannst ja erst mal Schriftstellerin werden, auch ohne berühmt zu sein«, sagte sie patzig. Es schien ihr wichtig zu sein.
    »Nein, ich will aber eine berühmte Schriftstellerin werden!«, rief ich noch einmal in die Klasse hinein und setzte mich. Ich hatte vorher gar nicht so sehr darüber nachgedacht, aber als ich gefragt wurde, war die Antwort plötzlich ganz klar. Danach merkte man richtig, wie schwer es Frau Schimmek fiel, meine Aufsätze der Klasse vorzulesen, sie warf mir dann mein Heft mit verächtlicher Miene zu. Sie lobte mich nach meinem Outing nie mehr, zumal ich mich wenig am Unterricht beteiligte, ihn dafür mit allen Mitteln störte. Wir hatten alle ein großes Sortiment an Unterrichtsstörwerkzeug, Lupen, um mit reflektierenden Sonnenstrahlen jemanden zu verbrennen, und diverse Wurfgeschosse wie ausgehöhlte Bic-Kugelschreiber, durch die wir lange im Mund zerkaute Papierkügelchen bliesen. Wenn man dann von so einem nassen Ding mit Tempo 100 am Auge erwischt wurde, war das sehr unangenehm. Natürlich waren wir in zwei Gruppen gespalten, die Täter und die Opfer. Ich musste also genauso wild sein wie die Jungs und es gelassen hinnehmen, wenn mich jemand schüttelte oder über den ganzen Basketballplatz vor unserem Bungalow an den Füßen hinter sich her schleifte. Natürlich machte es am meisten Spaß, die Starken anzugreifen, die Schwachen heulten sofort los, riefen den Lehrer und waren überhaupt nicht lustig.
    Jens war ein sehr blasser, deutscher Junge mit hellblonden Haaren und einer silbernen Brille. Er ging mir aus irgendeinem Grund auf die Nerven, vielleicht weil er so unscheinbar war und ihm anzusehen war, dass ihn seine Mutter ankleidete. Er hatte keinen eigenen Style so wie die coolen Jungs. Immerhin war 1975, und wir trugen alle enge Jeans mit Schlag, enge kleine Jeansjacken und noch engere T-Shirts. Meine waren so knapp, dass man immer meinen Bauchnabel sah, was wiederum meine Mutter ärgerte. Sie fand, ich sah aus wie eine Babynutte, so könnte ich auf der Straße Geld verdienen. Aber sie wagte es nicht, mich zu zwingen, in der Schule eins von den uncoolen Kleidern anzuziehen, die sie für mich im Alleingang, noch bevor wir Deutschland verlassen hatten, in der Hamburger Kinderboutique gekauft hatte, wo sie alle meine Sachen kaufte.
    Es war eine von diesen Boutiquen, wo man auf einem elektrischen Drachen reiten konnte, während meine Mutter mit derVerkäuferin Kleider, Röcke mit Blousons und Strickjacken und die farblich dazu passenden Kniestrümpfe von DoréDoré zusammensuchte. Bei dem letzten Hamburg-Besuch in meiner Abwesenheit hatte meine Mutter noch ein paar Kleider für Teheran nach ihrem Geschmack ausgesucht, damals zwei Nummern zu groß, damit ich hineinwachsen konnte. Diese Kleider waren das, was Erwachsene unter Teenager-Mode verstanden. Ich merkte, dass ich mich plötzlich in einer komischen Zwischenphase befand: Was man in Teheran unter Kinderkleidung verstand, passte nicht mehr zu mir, aber ein Teenager war ich auch noch nicht und wollte auch keiner sein. Ich brauchte erlesene Mode für Zehnjährige, wie sie Kinder in französischen Filmen trugen. Blusen mit Strickjacken und rote Röcke aus Breitcord. Und Stiefel. Das gab es aber alles in Teheran nicht. Persische Kinder trugen keine Mode, sondern nur die schlimmsten Klamotten der Welt. Die Kleider, die meine Mutter ausgesucht hatte, waren nicht Mini genug für meinen Geschmack und hatten zu allem Übel auch noch kleine Ausbuchtungen an der Stelle, wo ein Busen sein sollte, aber bei mir zum Glück nichts war. Ich fand es regelrecht sittenwidrig, durch Abnäher auf Kleidern auf meine zukünftigen sekundären Geschlechtsmerkmale hinzuweisen, erklärte ich meiner staunenden Mutter. Das mit den sekundären

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