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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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mich nicht finanziell einschränken. So in etwa waren meine Eltern drauf.
    Nur meine Mutter kippte oft in ihren Keifwahn und fing mit dem peinlichen »Teures-Schulgeld-Scheißkind«-Geschrei an. Aber das meinte sie nicht ernst. Wenn man sie im normalen Zustand fragte, ob sie wirklich fand, ich sei das Schulgeld nicht wert, lachte sie nur.
    »Warum sagst du das dann dauernd, Mann?«
    »Weil du mich so aufregst.«
    Ich lief schnell mit Angela die Treppe hinunter, damit sie auf andere Gedanken kam, öffnete das große blaue Eisentor und ging auf die Kutsche in Richtung Pahlewi Avenue. Wir gingen ein paar Meter, dann blieb Angela stehen:
    »Wir können doch nicht einfach raus!«
    »Wieso nicht?«
    »Auf die Straße!«
    Sie sah mich gequält an, als würde ich sie überreden wollen, von einem Dach zu springen.
    »Was ist denn? Wieso nicht?«, fragte ich sie noch einmal und fing an, auf dem schmalen Bürgersteig im Halbschatten der mickrigen Bäume, die neben dem Bürgersteig in einem schmalen Djub gepflanzt waren, von der ersten Ballettposition in die dritte zu hüpfen.
    Ich hüpfte solange hin und her, bis sie sich endlich vom Fleck bewegte.
    »Gut«, sagte sie, »aber das darf nie jemand wissen.«
    Ich machte ein Plié vor ihr: »Nein, nie, niemand.« Und dann hielt ich mir die Hand vor den Mund, weil ich lachen musste.
    Ich zeigte Angela mein Kaufhaus, vom obersten Stockwerk bis zum Supermarkt im Keller. Sie war völlig überwältigt und sagte, sie sei vorher noch nie in einem Kaufhaus gewesen. Ich glaubte ihr nicht. In ein Kaufhaus zu gehen war nun wirklich das Normalste der Welt.
    »Wo kauft ihr denn euer Essen?«
    »Das kauft meine Mutter, wenn wir in der Schule sind.«
    »Und wo kauft ihr eure Kleider, wenn ihr in Deutschland seid, Mann?«
    »In Geschäften.«
    Was sollte ich davon halten? In Deutschland streunten meine Mutter und ich auch immer durch Kaufhäuser, wenn wir in Bremen in die Stadt gingen oder einen Ausflug nach Hamburg machten. Ich liebte Karstadt und auch die Palomino-Klamotten mit dem Plastikpferdchen, die meine Mutter manchmal bei C&A in der Kinderabteilung für mich kaufte und mir dann immer vor allen Leuten einfach die Hose runterzog, um alles schnell anzuprobieren, weil sie keine Lust auf die engen C& A-Kinderumkleidekabinen hatte. Und dann natürlich die feine Kinderboutique mit den fröhlichen Verkäuferinnen, die einem zu jedem Kleid die passenden Strümpfe und Haarschleife brachten. Einkaufen war für mich eines der schönsten und wichtigsten Erlebnisse überhaupt. Wie konnte man das nicht kennen?
    Um ihr zu zeigen, wie schön Einkaufserlebnisse sind, kaufte ich am Kouroush-Zeitschriftenkiosk ein bisschen ein. Ich kaufte eine Bunte, eine Mädchen und eine Bravo, zwei Päckchen RED-Kaugummi mit Zimtgeschmack und zwei von den neuen amerikanischen Lollis.
    Dann gingen wir raus, jede mit einem rosa Lolli im Mund, und spazierten die Pahlewi Ave hinunter. Auf der rechten Bürgersteigseite, gegenüber von den Schaufenstern der Läden, hatten Händler ihre Stände aufgebaut und boten ihre Waren feil. Das meiste war einfach nur Schrott. Selbst bespielte Kassetten mit ausländischer und iranischer Popmusik, billige Handtaschen und Schuhe aus Plastik, billige Klamotten mit kopierten Labels. Manche hatten statt »Adidas« aus Versehen »Abibas« auf die Shirts gedruckt und »Channel« statt »Chanel«.
    Wir kauften einem Händler zwei Donna-Summer-Kassetten ab, der dabei die ganze Zeit dahin starrte, wo irgendwann unser Busen sein würde.
    Es gab kaum einen Händler oder überhaupt fast keinen Mann, der uns nicht anstierte, etwas Blödes sagte oder uns sogar aus der Ferne etwas Schweinisches zurief. Ich hatte mich daran gewöhnt. Es war klar, dass die Typen alle krank und verrückt waren, denn wir waren kaum zwölf und sahen auch so aus, also wie Kinder. Ich hatte mir deshalb schon lange angewöhnt, immer auf den Boden zu schauen, wenn ich auf der Straße lief, denn wenn man den Typen in die Augen sah, empfanden sie es als Aufforderung, noch frecher zu werden. Aber Angela hatte keine Ahnung, sah sich ständig um und schämte sich.
    Es gab Stände, an denen Spieße mit Lammleber und Lammnieren auf Holzkohle gegrillt und auf Naan verkauft wurden. Manche verkauften Sandwiches, Eis und Wassermelonenstücke. Andere hatte ein Feuer in einer aufgesägten Blechmülltonne gemacht, brieten große Rote-Beete-Stücke darauf und schrien die ganze Zeit: »Labu! Labu!«
    Labu stank so unglaublich, dass mir schlecht

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