Hinter dem Mond
wurde, ich hasste Rote Beete und fast alles andere, was sonst so an Essbarem auf der Straße verkauft wurde. Meine Eltern bläuten mir zudem immer wieder aufs Neue ein, mir unter keinen Umständen jemals auf der Straße oder an einer der Buden etwas zu essen zu kaufen, weil alles völlig verschmutzt sei und man davon sterben würde. Schon der Gedanke daran war verboten. Aber ich war scharf auf Hamburger und solche Sachen, denn amerikanisches Junk-Food hatte natürlich eine ganz andere Anziehungskraft auf mich, als ein blödes Stück gegrillte stinkende Rote Beete oder mir unbekannte rote Beeren, rote Mispeln, die nur sauer schmeckten und nichts brachten.
Wir standen vor der blinkenden Wendy-Filiale und studierten die große Speisekarte. Ich überlegte, ob man wohl von Pommes auch sterben würde, da fragte mich Angela:
»Hast du hier schon einmal etwas gegessen?«
Ich schüttelte den Kopf und meinte: »Das ist verboten. Ich darf nicht.«
Sie riss die Augen weit auf: »Was? Du darfst nicht?«
Meine Mutter sagte jedes Mal, wenn ich einen Burger wollte, sollte ich ihr das sagen, sie kaufte mir dann die soften Brötchen im amerikanischen Supermarkt und briet mir Hackfleischsteaks mit Salat, Ketchup und Tomate. Aber das war natürlich nicht dasselbe wie bei Wendy einzukehren.
Aber meine jugoslawischen Erfahrungen hatten bewiesen, dass meine Eltern zumindest in punkto verschmutztes Essen keinen Quatsch redeten.
Ich schämte mich jetzt, dass ich diejenige war, die keinen Burger essen durfte. Anscheinend durften das sogar Leute wie Angela, die sonst gar nichts durfte und von ihren Eltern wie eine Zurückgebliebene behandelt wurden.
»Du darfst hier mitten in Teheran allein auf die Straße, dir aus der Tasche deiner Mutter einfach so viel Geld nehmen, wie du willst, Jeans mit Löchern und dreckige Turnschuhe anziehen, den ganzen Tag Fernsehen, und zwar in deinem Zimmer, den Religionsunterricht schwänzen, dir einfach ungefragt Ohrlöcher stechen und alles andere, was ich nie erlaubt bekomme, und das darfst du nicht?«
Ich zuckte die Schultern. Das durfte ich eben nicht, und diese Grenze wollte ich ausnahmsweise auch nicht übertreten. Ich spürte echte Gefahr.
Ich hatte an dem Tag alle unsere Einkäufe bezahlt, und es war noch mehr als die Hälfte übrig. Der Rest würde wieder auf meinem Geldstapel landen. Meine Mutter fragte nie nach Restgeld. Was ich mit Geld oder überhaupt die ganze Zeit machte, interessierte eigentlich niemanden.
5
E in Jahr später, ich hatte gerade meinen dreizehnten Geburtstag mit den spärlichen Klassenkameraden gefeiert, die im August in Teheran und nicht mit ihren Müttern in Deutschland waren, eskalierten die Streitereien zwischen meinen Eltern. Meinen Vater sah ich eigentlich nur noch am arbeitsfreien Freitag, wenn er nicht in die Praxis ging, sofern er nicht unten bei seinen Eltern herumsaß. Er verließ sechs Tage in der Woche sehr früh morgens, noch bevor ich aufstehen musste, das Haus und kam abends mittlerweile so spät wieder, dass ich meistens schon im Bett lag. Aber die beiden nutzten die wenige Zeit, die ihnen miteinander blieb, um sich immer schlimmere Gefechte zu liefern. Stein des Anstoßes war der neue Job meiner Mutter bei der iranischen Niederlassung des Chemiekonzerns Hoechst. Die Tatsache, dass meine Mutter angefangen hatte zu arbeiten, gefiel meinem Vater nicht und machte ihn noch unausstehlicher, als er ohnehin schon geworden war.
Er behauptete, meine Mutter würde den Job nur dazu nutzen, um den männlichen Kollegen in der Firma den Kopf zu verdrehen. Als würde sie seinen Verdacht bestätigen wollen, wurde meine Mutter durch den Job immer hübscher und sexier. Das fiel sogar mir auf, dass sie einfach sehr gut aussah mit ihrer honigfarbenen Föhnfrisur, den engen wadenlangen Röcken und den hochhackigen Schnürsandalen, deren lange Bänder sie um ihre schlanken Fesseln band. Ich wusste ja, wie die anderen Mütter aussahen, die alle deutsch, unförmig und ziemlich hässlich und schlecht angezogen waren. Je hübscher meine Mutter wurde, desto aggressiver wurde mein Vater. Irgendwann war es so weit, dass sie sich jeden Abend noch vor dem Abendessen so schlimm anschrien, dass meine Mutter das ganze Essen in den Mülleimer warf, sich die Klamotten vom Leib riss und in einem alten Nachthemd ins Fernsehzimmer ging und die Tür hinter sich zuknallte. Meistens klopfte mein Vater einige Zeit nach dem Knallen an meine Zimmertür und hatte Zigaretten und ein Glas Whisky
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