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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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Stoff, das ich für sie ausgesucht hatte. Sie sah fast besser aus als dasVorbild in der Vogue . Mein Kleid war aber das Allertollste, fand ich: ein Maxikleid in fliederfarben-weißem Vichykaro, Träger mit Rüschen und weißer Spitze und einem weiten Stufenrock. Die Schneiderin hatte zu meiner Überraschung Talent bewiesen und zwei Meisterstücke hingelegt. Ich war mit der Gesamtsituation sehr zufrieden und erhob mich bald von unserem Tisch, um den restlichen Abend allein zu verbringen und die Party zu erforschen. Ich lustwandelte zwischen den langen Buffettischen entlang, wo es unter anderem riesige Kristallschüsseln auf Eisbergen, gefüllt mit schwarzem Kaviar, und ganze gegrillte Lämmer gab. Ich fand Kaviar supereklig, aber ließ mir von einem der knusprigen Lämmer eine kleine Scheibe abschneiden und auf den Teller legen. Das Fleisch schmeckte köstlich, und plötzlich stand Persiens größter Popstar der damaligen Zeit auf der Bühne: Googoosh! Googoosh war eine junge Frau, die die Herzen aller Perser erobert hatte, sogar der Schah und die Schahbanu hatten sie schon mehrmals eingeladen, auf Festivitäten im Kaiserpalast für die Gäste zu singen. Sie war damals höchstens dreißig, sang persischen Herzschmerz-Pop, spielte Hauptrollen in traurigen Kinohits und wurde von allen persischen Mädchen kreischend vergöttert. Ich konnte weder mit ihrer Musik noch mit den Filmen etwas anfangen, fand ihre Musik eigentlich genauso schrecklich wie jede persische Musik, die ich nur »Gejaule« nannte, und ihre Filme eher seicht und peinlich. Aber als Person mochte ich Googoosh total. Sie war ohne Frage wunderschön und hatte immer einen einfach umwerfenden Style. Sie war absolut Vogue und ließ sich ihre honigblond gefärbten Haare sogar von der Geliebten meines Großvaters frisieren, die ja mitsamt ihrem Salon auch supervogue war. Und als sie plötzlich an diesem Abend auf der Bühne stand, in einem langen, engen weißen Kleid mit einem Turban aus demselben Stoff, das Mikrophon in der Hand, und anfing, einen ihrer Hits zu trällern, passierte etwas Seltsames mit mir: Ich ging ganz allein zu den vielen Leuten auf die Tanzfläche und fing an zu tanzen.
    Ich hatte mich gerade neben der hübschen Freundin des Bruders der Braut und ihren California-Girls-Freundinnen in den tollen Kleidern warm getanzt und jubelte mit mindestens tausend anderen Gästen im ganzen Saal Googoosh auf der Bühne zu, die ihren Hit: »Mano koschti« (»Du hast mich getötet«) angestimmt hatte, da kam meine Mutter auf die Tanzfläche, verdrehte die Augen und stöhnte mir ins Ohr: »Deine Großeltern wollen nach Hause!«
    »Dann sollen sie gehen!« Ich stampfte mit dem Fuß auf.
    »Lilly, komm jetzt, wir müssen mit.« Sie konnte es selbst nicht glauben, was hier geschah, und war unendlich genervt.
    Meine Großeltern standen wie zwei Vogelscheuchen mit sauertöpfischer Miene am Eingang, und mein Großvater sah mich entnervt an und schüttelte den Kopf, als hätte ich etwas unfassbar Asoziales getan: mich amüsiert.
    Es war einfach so, als würde ein Fluch auf mir liegen. Sobald es anfing, schön zu werden, tauchte sofort jemand Dummes auf und machte alles kaputt.

    Eines Tages wollte ich Angela mein Viertel zeigen: »Komm, wir gehen raus und laufen durch die Geschäfte.«
    »Was? Du meinst ganz raus?
    »Ja, klar. Komm.«
    Ich rief meiner Mutter zu, dass wir rausgehen, und ich etwas Geld bräuchte. Sie rief zurück, ich wisse doch, wo ihre Tasche sei. Ich wusste es tatsächlich, holte das Portemonnaie heraus, nahm mir zwei Hundert-Toman-Scheine heraus und steckte sie in meine Hosentasche. Angela starrte mich ungläubig an und meinte, sie dürfe nie, niemals an die Handtasche ihrer Mutter gehen, das wäre für Kinder einfach unvorstellbar.
    »Und wenn sie keine Lust hat, aufzustehen?« Angela schüttelte den Kopf und war schon wieder wegen nichts schockiert. Ich hatte mir nur Geld genommen. Es war doch auch irgendwie mein Geld. Ich war ja ihr Kind.
    »Und fragt sie dich nicht, wie viel du dir genommen hast und was du damit gemacht hast?«
    »Nein, fragt sie nicht!«
    Ich hatte keine Lust, über Geld zu reden. Meine Eltern redeten nie über Geld und hatten mir das auch so beigebracht: »Wenn man über Geld redet, denken die anderen, man ist neureich.«
    Zum Glück machten sie auch kein Theater darum, was sie mir gaben, wie andere Eltern. Bei uns war es so, dass das Geld für alle da war. Ich bekam kein Taschengeld, ich bekam, was ich brauchte, sie wollten

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