Hinter dem Mond
hin.
Ich tat so, als hätte ich nichts gehört. »Was sollen wir anziehen, Mama?«
Meine Mutter hörte sofort auf zu lachen. »Wir brauchen Kleider! Das sind sehr reiche Leute! Die halbe Familie der Braut kommt aus Los Angeles eingeflogen. Die haben richtiges Geld und Geschmack! Die Frauen kommen alle in langen Abendkleidern!« Kurze Pause. »Und Juwelen! Oje! Die Juwelen!« Sie nickte nervös, um mich darauf hinzuweisen, dass ich keine Ahnung von richtigem Geld hätte, da meine Familie, die sie nicht als die ihre erachtete, viel zu kleinkariert und provinziell wäre. Sie war ja mondäne Fabrikantentochter und ich nur das Kind meines Vaters, eines armen Arztes ohne Ländereien.
Ich kaufte mir mittlerweile regelmäßig die englische Vogue im amerikanischen Supermarkt, weil darin alles zu sehen und zu lesen war, was ich wissen wollte. Außer umwerfenden Bildern von wunderschönen Frauen in flatternden Chiffonkleidern vor Sonnenuntergängen, in Pumphosen und Turbanen in marokkanischen Gassen oder in den schönsten Bikinis mit Bauchketten und gigantischen Sonnenbrillen vor endlosen Sandstränden gab es auch faszinierende Geschichten aus dem Leben von Schauspielerinnen, die ich bewunderte. Ich wusste alles über Jane Birkin, Catherine Deneuve, Jacqueline Bisset oder Lauren Hutton, sie beamten mich in eine andere Welt, und die Vogue verbesserte so meinen englischen Wortschatz enorm. Für einen Artikel, der darüber berichtete, wie Aristoteles Onassis die arme Maria Callas für Jackie Kennedy verließ, brauchte ich drei Tage und die Hilfe von zwei Wörterbüchern. Aber das daraus gezogene Wissen war unglaublich. Ich plauderte mit meiner Mutter über Jackie, Maria und Tina Onassis, die schwerreiche Tochter von Aristoteles.
»Die Arme ist hässlich und sieht aus wie ihr Vater«, sagte meine Mutter und sah mich an. »So wie du …« Dann lachte sie gemein.
Die Gemeinheiten meiner Mutter waren allgegenwärtig und machten mir nichts mehr aus. Ich zahlte es ihr einfach an anderer Stelle heim. Außerdem fand ich nicht, dass ich aussah wie mein Vater, sondern wie ich. Und ich wollte genauso so leben wie diese Frauen. Immer perfekt gekleidet, geschminkt und frisiert, in tollen Villen irgendwo auf der Welt, zwischen einer gigantischen Wohnlandschaft mit weißen Ledermöbeln und gelangweilt an einer Zigarette ziehen, obwohl ich Zigaretten blöd fand und den Rauch hasste. Oder mit meiner Lieblingskatze am Swimmingpool meines Ferienhauses auf Jamaika fotografiert werden wie C. Z. Guest, eine Freundin des berühmten Schriftstellers Truman Capote. Ich hatte »Frühstück bei Tiffany« aus dem Bücherschrank meiner Mutter gezogen und gelesen, nachdem ich Bilder von ihm mit lauter schönen, reichen Frauen in der Vogue gesehen hatte. Mein Leben sollte bitte auch so aussehen wie in der Vogue und nicht so, wie es meine Eltern gestalteten. Ich verstand auch nicht, warum sie aus Deutschland diese scheußlichen Stilmöbel mitgebracht hatten, deren Bezüge so leicht schmutzig wurden, dass man sich nur darauf setzen durfte, wenn Gäste da waren. Sie hatten mich nicht nach meiner Meinung gefragt, sondern einfach alles ohne mich gekauft.
»Die Möbel, die du magst, versteht man hier nicht. Hier muss man Stilmöbel haben. Das ist hier der Iran! Wir haben alles richtig gemacht.«
»Ist doch egal, was die hier verstehen«, sagte ich dann, verdrehte die Augen und stöhnte laut: »Wer sagt denn, was man hier muss? Hier haben doch alle hässliche Scheißmöbel, was wissen die schon? Sescht, sescht-tar!« Sescht heißt hässlich auf Farsi, und tar ist immer die Steigerung, also hässlicher.
Und meine Mutter: »Was weißt du schon? Wir mögen unsere Möbel, sie sind sehr geschmackvoll und edel. Wenn du erwachsen bist, kannst du ja in so hässlichen modernen Möbeln wohnen.«
»Mache ich auch!«, rotzte ich sie an und konnte es in diesem Moment wieder kaum erwarten, mein eigenes Leben zu gestalten. Wie herrlich müsste das sein! Ein Leben ohne Perserteppiche, Kristalllüster und Blechküche und der ständigen Einmischung von irgendwelchen Familienmitgliedern, die einem sagen, was geht und was nicht geht, ohne echte Gründe dafür liefern zu können. Stattdessen eine dieser tollen Reklame-Einbauküchen, ein riesiges leeres Schlafzimmer ohne Perserteppich, aber dafür mit einem großen weißen Bett darin und riesigen Fensterfronten mit weißen Jalousien, aus denen ein großer grüner Garten und ein perfekt gekachelter Pool zu sehen wären, an dem ich
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