Hinter dem Mond
dabei. Eigentlich war Rauchen bei uns zu Hause verboten, weil meine Eltern beide Zigarettenrauch hassten. Aber seit meine Mutter arbeiten ging, rauchte mein Vater Kette. Er setzte sich dann auf meinen dunkelgrünen Schreibtischstuhl, tat einige Zeit so, als würde er mit mir zusammen das verfolgen, was ich gerade im Fernseher sah. Aber ich wusste, dass er sich nicht für amerikanische Serien interessierte, die ich immer gern sah. Außer mir sah niemand »Die Straßen von San Francisco«, »Starsky & Hutch« und meine Lieblingsserie »Reich und Arm« mit Nick Nolte und Peter Strauss.
Jedenfalls fragte er irgendwann devot, ob er rauchen dürfte, und ich erlaubte es ihm. Er rauchte ein paar Merit und sah mit mir gequält solange den Film, bis ich mich seiner erbarmte und den Fernseher lautlos stellte. Dann sagte er: »Mama macht einen Fehler.«
Ich sah ihn fragend an.
»Sie weiß nicht, was es bedeutet, wenn sie jeden Tag alleine in so einer Firma herumläuft. Die Männer haben doch alle eine schmutzige Phantasie.«
Ich versuchte mir, soweit es mir meine gerade dreizehn Jahre erlaubten, eine schmutzige Männerphantasie vorzustellen, die beim Anblick meiner Mutter ausgelöst werden könnte. Zum Beispiel während sie am Kopiergerät stand.
Mein Vater jammerte sich bei mir aus. Meine Mutter würde dies und würde das. Ich hörte ihm nicht zu. Ich fand es sehr uncool von ihm, ausgerechnet mich als Schulter zum Ausweinen zu missbrauchen, denn ich erzählte ihm auch nie etwas von meinen Problemen, und ansonsten hatten wir ziemlich wenig miteinander zu tun. UnserVerhältnis war eher mit einer unfreiwilligen Wohngemeinschaft zu vergleichen. Unfreiwillig, weil ich bei ihm wohnen musste, obwohl ich gar nicht wollte, nur weil ich kein Geld hatte, mir eine eigene Wohnung zu leisten. Ungefähr so sah ich das Verhältnis zu meinem Vater. Und jetzt saß er an meinem Schreibtischschrank vor den ganzen Stapeln von Comics und Büchern und lästerte über meine Mutter.
Ich fand es gut, dass meine Mutter arbeitete. Sie war viel netter geworden und schrie nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit sofort mit Keifstimme herum. Es tat ihr also nicht nur äußerlich gut, sondern verbesserte auch ihren Charakter. Es war ein Halbtagsjob. Ich fuhr jetzt mittags immer mit einem anderen Schulbus in ihre Firma, holte sie von der Arbeit ab, und dann fuhren wir gemeinsam mit ihrem Auto oder einem Taxi nach Hause. Sie saß zusammen mit ihren Freundinnen Faride und Parri in einem großen Büro und manchmal, wenn ich an ihrem Schreibtisch herumlungerte und auf sie wartete, kam ihr Chef, Herr Kaschanipour, und blödelte herum. Er war ein stark behaarter Typ mit einer dicken Hornbrille, der sich gern über mich und meine Zahnlücke lustig machte. Da Hoechst eine deutsche Firma war, konnten fast alle, die dort arbeiteten, perfekt Deutsch. Bei meinen seltenen Auftritten im Rock sagte er dann erstaunt zu mir: »Du bist ja ein Mädchen! Das wusste ich gar nicht.« Und dann zwinkerte er mir zu, als wäre er irre lässig. Ich fand seine Witze nicht besonders gelungen, aber ich war, was dumme Witze von persischen Männern anbelangte, mittlerweile so abgehärtet, dass ich sie zwar peinlich, aber nicht unerträglich peinlich fand, wie zum Beispiel die viel dümmeren Sprüche des Mannes meiner Tante. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn Herr Kaschanipour auf meine Mutter stehen würde. Meine Mutter würde ihm einen Schuh aufblasen, sie war mit einem Arzt aus Deutschland verheiratet und würde meinen Vater ganz sicher nicht verlassen, um mit einem Angestellten, der viel weniger Geld verdiente, zusammenzuleben.
Mein Vater machte sich also völlig umsonst Sorgen.
»Papa«, unterbrach ich sein Gejammer, »du musst dir keine Sorgen machen, Mama würde dich niemals verlassen, um einen von den Männern zu heiraten, die bei Hööööchst arbeiten. Die verdienen doch alle viel weniger als du!«
Und Hoechst sprach ich aus, als wäre es ein Asozialenheim.
MeinVater verzog schmerzhaft das Gesicht, blies den Rauch übertrieben aus und sah mich dann genervt an: »Du verstehst überhaupt nicht, was los ist«, schnaubte er verächtlich.
Das war unverschämt. Mich erst mit seinen Problemen belästigen und mich dann als nicht adäquaten Gesprächspartner und schlechten Ratgeber missachten. Er hatte keinen Trost verdient.
»Na ja, wenn sie dich verlassen will, kannst du sowieso nichts dagegen tun. Vielleicht verliebt sie sich ja in einen Deutschen?« Hehe, jetzt hatte ich ihn
Weitere Kostenlose Bücher