Hinter dem Mond
getroffen.
Bei Hoechst arbeiteten natürlich sehr viele deutsche Männer, und die waren gar nicht übel. Sie entsprachen eher meinen Vorstellungen von gut aussehenden Männern: groß, blond und schlank, nicht so schwarz behaarte Zwerge, die nur Bullshit rausließen, wenn sie den Mund aufmachten. Und deutsche Männer fanden im Gegenzug meine Mutter auch super, das merkte ich immer, wenn sie mich bei meinen Freundinnen abholte und der Vater meiner Freundin danach ungefähr zehnmal zu mir sagte: »Du hast eine wirklich attraktive Mutter. Sie ist sehr jung! Wie alt ist sie?«
Und ich: »32.« Woraufhin der Vater durch die Zähne pfiff.
Aber davon wusste ja mein Vater nichts. Der verzog das Gesicht angewidert und meinte zu mir:
»Du bist das Opfer, wenn deine Mutter weiterhin so uneinsichtig ist. Sie kann sich als Mutter einer Heranwachsenden nicht so verhalten. Was sollen die Leute denken, was du für eine bist, wenn deine Mutter schon so ist? Sie werden sagen, die Tochter ist genauso lasch wie ihre Mutter.«
Lasch ist Farsi und bedeutet Schlampe.
Ich kam nicht mehr mit, er war verrückt. Was die Leute denken, war doch so was von superscheißegal. Mit ging dieses ständige »Was die Leute denken« dermaßen auf die Nerven, zumal ich keinen einzigen Menschen kannte, dessen Meinung mir wichtig war. Außer Angelas und Carmens vielleicht. Aber denen war es egal, ob meine Mutter eine Schlampe war oder nicht, obwohl ich gerne eine Schlampe zur Mutter gehabt hätte. Und ich würde leider auch keine werden, so wie es aussah, obwohl ich gerade »Lolita« von Nabokov aus dem Bücherschrank meiner Mutter gelesen hatte, also eigentlich hatte ich nach ein paar Seiten nur noch nach den schweinischen Stellen gesucht, denn das Buch hatte mich wahnsinnig gelangweilt, und ich wusste nicht, warum es so berühmt geworden war. Ich war keine Lolita und wollte auch keine sein. Ich fand Männer widerlich.
Ich zog mich aus und legte mich mit T-Shirt und Unterhose ins Bett, wie immer. Er machte das Fenster zum Lüften auf, knipste das Licht aus, wünschte mir eine gute Nacht und ging hinaus. Kurz danach hörte ich ihn an die Tür des Fernsehzimmers klopfen, in dem meine Mutter sich auf dem Sofa ein Bett gebaut hatte.
Wenige Tage später wachte ich gegen zwölf auf, ging in die Küche, machte mir einen kalten Kakao und hörte plötzlich Geräusche aus dem Schlafzimmer. Ich war während der Sommerferien vormittags mir selbst überlassen. Ich schlief immer bis mittags, dann machte ich mir mein Frühstück selbst, weil das Dienstmädchen meistens schon für das Abendessen einen Riesenhaufen Spinat und ein Gebüsch Küchenkräuter putzte oder einen Berg roter Fleischstücke durch den Wolf drehte, während in zwei großen Pfannen gleichzeitig Frikadellen in heißem Öl brutzelten. An diesem Morgen war die Küche leer und sauber, keine Fatima weit und breit.
Ich frühstückte jeden Morgen das Gleiche: kalten Kakao und Toast mit Philadelphia-Frischkäse und Erdbeermarmelade, weil ich froh war, endlich etwas gefunden zu haben, was mir schmeckte. Philadelphia gab es plötzlich im amerikanischen Supermarkt zu kaufen, ich schickte dem Menschen, der die Idee mit dem Import hatte, jeden Morgen versöhnliche Gedanken. An diesem Morgen hörte ich, während ich die weiße Oberfläche unserer Bar in der Küche wie jeden Morgen mit braunen Kakaoflecken besudelte, dass jemand im Schlafzimmer hin- und herrannte. Mit der Kakaotasse in der Hand ging ich in Richtung Schlafzimmertür. Mein Kater kam aus meinem Zimmer, sah mich und lief hinter mir her. Ich stieß die halboffene Zimmertür auf und was ich sah, ließ mir beinahe die Kakaotasse aus der Hand rutschen. Alle Schlafzimmerschränke waren weit aufgerissen, und auf dem Bett und auf dem Boden lagen drei aufgeklappte Koffer, in denen sich Haufen von Kleidern, Schuhen, Handtaschen und anderem Zeugs türmten.
Meine Mutter riss immer mehrere Kleiderbügel gleichzeitig aus dem Schrank und warf sie mitsamt Bügeln in die Koffer. Die Schubladen ihrer Kommoden waren schon leer.
»Was machst du?«, jaulte ich.
»Ich packe meine Sachen!«, schrie sie mich an.
»Wo willst du hin?«, jaulte ich noch einmal.
»Weg! Einfach weg von ihm. Ich halte es nicht mehr aus. Ich ertrage dieses Leben nicht mehr. Ich kann nicht mehr.«
»Dann packe ich jetzt auch meine Sachen«, sagte ich zu ihr, um meine Solidarität zu beweisen.
Sie blieb einen Moment stehen. Sie hatte einen Wickelrock und nur einen BH an und Lockenwickler
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