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Hinter der Milchstraße - Roman

Hinter der Milchstraße - Roman

Titel: Hinter der Milchstraße - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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nickte zu Calista hin. »Wenn sie etwas anderes behauptet, ist sie es, die lügt.«
    Calista blies sich Luft über das Gesicht. So viel Unrecht war ihr noch nie angetan worden. Sie stülpte das Futter der Taschen aus der Hose, die eigentlich ein Rock war, und sagte: »Meine Taschen sind leer.«
    »Das beweist nichts«, sagte Geesjes Vater. »Blaue Flecken dagegen …« Er schwieg, nahm mein Kinn in die Hand und drehte mein Gesicht zu sich. Sanft drückte er auf die Beule, die unter meiner Augenbraue wuchs und klopfte.
    Ich schaute ihm ins Gesicht. Ich dachte: Ihre Augen sind rot und dick. Ich dachte: Wie soll ich sagen, dass ich es sehr schlimm finde, das mit Geesjes Tante?
    Geesjes Vater wich meinem Blick aus. Er sagte, ich müsse Eis auf meine Beule legen.
    »Du hast, was du gesucht hast«, sagte er mit einem Nicken zu Calista. »Du kannst nach Hause gehen.«
    Calistas freche Antwort begann mit: »Und mein Geld ...« Den Rest hörte niemand, weil gerade ein Lastwagen lärmend vorbeifuhr.
    Als Geesjes Vater um das Auto herumging und einstieg, verzog Geesje keine Miene.
    Ich spürte Bossies Blick. Er hatte Geesje erst jetzt bemerkt und schickte mich mit den Augen in ihre Richtung.
    Ich bedeutete ihm mit einer Grimasse, dass ich sie längst gesehen hatte. Ich ließ meine Augen in Calistas Richtung wandern. Von mir aus sollte er sich ruhig mit seiner neuen Flamme beschäftigen.
    Der Motor startete.
    In Gedanken bat ich Geesje, doch mal in meine Richtung zu schauen. Ganz kurz würde reichen.
    Ihr Mund blieb ein dünner Strich.
    Sie setzte ihre Sonnenbrille auf. Sie wählte die Sonnenseite, um hinauszuschauen.
    Ich lief langsam mit dem Auto mit. Ich dachte an das Geld, das ich von Papa bekommen hatte, und wollte es herausnehmen. Schau, Geesje, wollte ich sagen. Schau doch. Hier: Ich habe Geld bekommen. Was sollen wir damit kaufen? Hast du dein Buch schon fertig?
    Ich fand das Geld nicht schnell genug, und Geesje schaute nicht zu mir. Die Sonnenseite war die andere.
    Ich war nicht mehr schnell genug für den Jensen. Er fuhr die Sandstraße hinauf, vorbei an der Milchstraße.
    Es gab Radfahrer, es gab Autos.
    Die Blätter über meinem Kopf raschelten, irgendwo lachte eine Frau.
    Als ich mich umdrehte, stand nur noch Bossie da. Er schaute über die Schulter nach Calista, die schon ein Stück entfernt war.
    Sie lief in Schatten hinein, aus Schatten heraus.
    Seiner Haltung war anzusehen, dass er ihr gern nachlaufen wollte. Er streckte die Hand nach mir aus.
    »He, Os.«
    Ich hatte das Gefühl, etwas Nettes antworten zu müssen, etwas wie: Hach, Bruder, aber ich hatte keine Lust.
    Er fragte, ob bei mir alles paletti sei. Alles paletti war ein Ausdruck, der nicht in seinen Mund passte. Er klang ein bisschen wie Scheißzeug.
    Ich sagte, dass die Beule über meinem Auge sehr weh tue. »Aber es geht«, sagte ich. »Jetzt hau schon ab.«
    Diese Antwort brauchte Bossie.
    Er sagte: »Ja«, zögerte keine Sekunde und raste hinter Calista her.
    Ich konnte seinem Rücken ansehen, wie großartig er es fand, neben ihr herzulaufen. Erst dachte ich, er würde die Hände in die Taschen stecken und die Füße nachziehen, doch dann sah ich, dass er ihre grüne Kuhkarre geschnappt hatte und deshalb schlurfte. Das war ein entscheidender Unterschied.
    Ich erwartete nicht wirklich, dass sie sich umschauen würden, aber als sie zu zweit um die Ecke der Thaliastraße bogen und aus meinem Blickfeld verschwanden, musste ich schlucken.
    Ich blieb lange auf der Stelle stehen.
    Ich versuchte mich daran zu gewöhnen, wie die Dinge nun mal waren. Es würde keine Überraschungen geben. Der Jensen mit Geesje auf dem Rücksitz würde nicht umkehren und wieder auftauchen. Bossie und Calista würden nicht kehrtmachen und zurückkommen. Niemand würde auf mich zuhüpfen und winken und schreien, alles wäre nur ein Spiel gewesen.
    Ich dachte an die Familie in England, die in der Lotterie gewonnen hatte. Von dem Geld bauten sie ein Haus auf einem großen Grundstück. Sie bauten eine Sporthalle, ein Schwimmbad und einen Filmsaal für ihre Kinder, und weil es zum Haus passte, ließen sie auch Pferdeställe bauen. Pferde kauften sie nicht, denn sie mochten keine Pferde. Die Kinder bekamen jeder einen Fernseher.
    Nach einem Jahr begriff die Mutter, dass das Glück einfach nicht einkehren würde. Sie vermisste ihr kleines Haus von früher, in dem sich ihre Kinder und ihr Mann nicht immer verirrten, in dem sie einfach am Esstisch gesessen und Karten gespielt hatten. Der

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